Emanzipation &
Revolution

Emanzipation & Revolution

Emanzipationsprozesse sind in den Wendejahren eng mit gesellschaftlichen Krisen und Revolutionen verflochten. Sie können sich auf die politische und die persönliche Ebene beziehen, etwa auf den prinzipiellen Kampf ums Wahlrecht oder auf die individuelle Befreiung aus Abhängigkeiten. Das Erreichen von Selbständigkeit stellt in beiden Fällen ein wichtiges Ziel dar. Der Versuch, emanzipatorische Interessen im Sinne nationaler Selbstbestimmung politisch durchzusetzen, mündet immer wieder in nationale Konflikte und Kriege.

Durch die Gründung der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie im Jahr 1867 erlangte die ungarische Reichshälfte weitgehende politische Autonomie. Mit dieser Neuordnung des Habsburgerreiches begann auch die politische Emanzipation der jüdischen Bevölkerung, wobei der Antisemitismus nicht zurückgedrängt wurde, sondern sich zunehmend verschärfte, besonders in Krisensituationen wie etwa im Jahr des Börsenkrachs 1873. In der Folge entstanden antisemitische Strömungen und Parteien, die seit den 1890er Jahren zum politischen Mainstream wurden. Der Wegfall supranationaler Strukturen und die Gründung von Nationalstaaten seit 1918 setzten die jüdische Bevölkerung verstärkten Restriktionen und Angriffen aus. Die politischen Rechte von jüdischen Bürger*innen wurden in vielen europäischen Ländern, die ab den 1930er Jahren vom Antisemitismus und Faschismus beherrscht waren, zurückgenommen. Erst nach 1945 erhielten sie diese Rechte wieder. Der politische Umbruch am Ende des Zweiten Weltkriegs und die Abkehr vom Nationalsozialismus eröffneten zwar neue Möglichkeiten für Emanzipationsprozesse, die jedoch bei den osteuropäischen Staatenbildungen und der nachfolgenden politischen Polarisierung nicht vollständig eingelöst wurden.

Das Frauenwahlrecht, das für die Emanzipation von Frauen und die Partizipation am politisch-gesellschaftlichen Leben zentral war, wurde erst ab 1918 umgesetzt. In Österreich trat das Wahlrecht für Frauen nach langen Kämpfen der internationalen Frauenrechtsbewegung am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 in Kraft, 1919 folgten die Tschechoslowakische Republik und Ungarn. Dass Emanzipationsprozesse aber nicht immer linear verlaufen, zeigten die Einschränkungen des ungarischen Frauenwahlrechts in den Jahren 1922, 1925 und 1938. Auf individueller Ebene führte die Frauenemanzipation zu einer Abkehr von traditionellen Rollenmustern und einer Auseinandersetzung mit Geschlecht und Sexualität. Dieser emanzipatorische Diskurs bestimmte nicht nur die Zwischenkriegszeit und die Goldenen 1920er Jahre, sondern spielte auch beim politischen Umbruch 1945 eine Rolle, als mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Abkehr von der heroischen soldatischen Männlichkeit stattfand und Frauen immer mehr Unabhängigkeit forderten.

Gesellschaftliche und politische Emanzipationsprozesse sind transnationale historisch-politische Diskurse, die in der Literatur, im Film und im Theater aufgenommen, weitergeführt und transformiert werden. An der Verbreitung von emanzipatorischen und revolutionären Ideen haben literarische, essayistische und programmatische Texte einen wichtigen Anteil, indem sie die Diskurse fortsetzen und zu deren historischem Wandel beitragen.