1918

1918

1918 war das letzte Jahr des Ersten Weltkriegs, der in ganz Europa zu einem Umbruch führte. Durch die Friedensverträge (Versailles, Saint-Germain, Trianon) entstanden Staaten, die dem Grundsatz der nationalen Selbstbestimmung folgten, gleichwohl nationale Minderheiten hervorbrachten. Die nationalen Spannungen der Monarchie bestanden in den neuen Staaten häufig fort. Die Konfrontation mit einer neuen Kultur und Amtssprache führte zu Identitäts- und Loyalitätskonflikten.

Unmittelbar nach Kriegsende kam es auf dem Gebiet der ehemaligen Monarchie zu revolutionären und gegenrevolutionären Umbrüchen, Grenzverschiebungen und kurzlebigen Staatsgebilden. In Ungarn folgte auf die Ungarische Räterepublik die Wiederherstellung des Königreichs Ungarn, das nach dem Friedensvertrag von Trianon zwei Drittel seines Gebietes an die Nachbarländer abtreten musste. Die böhmischen Länder bildeten mit Oberungarn die Tschechoslowakische Republik. Kroatien, Slowenien und Serbien wurden zu Bestandteilen des Königreichs Jugoslawien. In Wien wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen, der proklamierte Anschluss an Deutschland wurde jedoch durch den Friedensvertrag von Saint-Germain verhindert. Die Abkommen zwischen den neuen Nationalstaaten und den Siegermächten über die Neuverteilung der Territorien führten keineswegs zu einer Stabilisierung Zentraleuropas.

Die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs manifestierten sich in wirtschaftlichen Krisen und sozialen Konflikten. Die verheerenden Erfahrungen prägten den Alltag und schlugen sich auch im kulturellen Leben nieder. Zunächst galt es die Kriegserlebnisse, den Alltag an der (Heimat-)Front, Heimkehr, Traumata und Probleme mit dem Einleben nach der Rückkehr zu verarbeiten. Zugleich jedoch war die Nachkriegszeit durch einen politischen Aufbruch gekennzeichnet: Demokratisierung, die auch zum Zeitgeist gehörte, begünstigte das Aufblühen der Massenkultur.

Bezeichnend für die Demokratisierung der Gesellschaft war die Emanzipation der Frauen, die von der Forderung nach politischer Gleichberechtigung, Wahlrecht, beruflicher Selbständigkeit und sexueller Befreiung begleitet war. Sowohl in der Literatur als auch im Film äußerte sich diese Entwicklung im verbreiteten Bild der Neuen Frau. Auch die Arbeiter*innenbewegung ging neue Wege. Trotz der Spaltung in die kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien pflegten diese das gemeinsame Erbe des Internationalismus. Ein Zeugnis davon legen die pazifistischen Bestrebungen ab, die sich in dieser Zeit sowohl auf politischer als auch auf kultureller Ebene beobachten ließen.

Das Jahr 1918 brachte erste Bemühungen, auf den Ruinen der alten Ordnung vorsichtig Umrisse einer neuen Welt zu entwerfen. Symptomatisch hierfür war die Hinwendung zur Unterhaltungskultur und zu avantgardistischen Experimenten in Literatur, Theater, Tanz, Musik und Film. Die Staaten Europas lernten, in und mit der Demokratie zu leben. Dass der Lernprozess noch lange nicht abgeschlossen war, zeigte die Entwicklung in den 1930 Jahren, die über Radikalisierung, Antisemitismus und Faschismus bis zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führte.