Übersetzung
Auch ein Hochverräter!
Eine kleine ungarische Geschichte
Es war ein Tag im Herbst ein schöner, klarer Septembertag. Die Ofener Berge lagen in blauem Dufte, schier wie zur Sommerszeit, die blonde Donau schimmerte im Sonnenstrahl und am Pester Quai wogte der Strom geputzter Spaziergänger auf und ab. Es läßt sich gut wandeln hier am herrlichen Strome zwischen den beiden prächtigen Städten, und es gibt wenige Orte ans Erden, wo ein Blick des Auges so viel Farbenpracht und Fülle der Schönheit umfassen kann. Es gilt dies vor Allem von dem Strome, dem Verkehre, den Bauteil und ganz insbesondere von den Frauen. Aber alle Pracht tut auf die Dauer dem Auge weh. Und so ging ich an jenem schönen, stillen Tage am Flusse hin und der Quai blieb hinter mir und die fashionable Promenade und die geputzten Menschen und ich ging weiter und weiter, bis mir der sonderbare Blocksberg gegenüber lag. Hier bog ich in eine große öde Straße zur Linken ab und dann nahm mich ein Gewirre von Gassen und Gäßchen auf, in dem ich mich kaum mehr auskannte.
Ein größerer Gegensatz zweier Stadtviertel ist kaum denkbar, als zwischen dem, woher ich kam und jenen, in welchem ich nun umherirrte. Dort moderne Paläste und Zinsburgen, hier kleine, ärmliche, altertümliche Häuslein, dort lautes Wogen und Treibe, hier nur selten ein Mensch. Die kleinen Gäßchen lagen wie ausgestorben – es war just Arbeitszeit und die Bewohner in den Häusern oder auswärts. Wenn ich auf einen Haufen von Leuten stieß, so waren es eben kleine Leute mit blonden Haaren und blauen Augen und putzensbedürftigen Näschen – junges, übermütiges Germanentum.
Der Dialekt, in dem sie sich sehr geräuschvoll unterhielten, wird freilich nirgendwo in deutschen Landen gebrochen, es ist eben ein sonderbares Gemisch aus baierischen, schwäbischen, fränkischen, niederrheinischen und ganz insbesondere nuewienerischen Elementen, das Zeug klingt zuerst fast unverständlich. Aber hätte ich auch daran gezweifelt, daß dies deutsche Kinder seien, so wäre mir dies gleich darauf sonnenklar geworden, just, als ich vorüberging, erklärten einige, „nicht mehr mitzutun“. Und richtig prügelten sie sich gleich darauf; so viel ich bei flüchtigem Rückblick bemerkte, stand kein Bismarck unter ihnen auf. Im Übrigen achtete ich ihrer nicht mehr und studierte die Schilder, welche hier und da, klein, buntfarbig, oft mit sonderbarster Ausstattung und Schreibweise an den Häusern hingen. Da war z. B. ein phantastischer Stiefel mit einem Riesensporn und darunter stand „Schwemminger Janos“. Oder eine großmächtige Scheere mit der Unterschrift: „Haube Mihaly“. Im Hause daneben an einer kleinen Gassentüre eine ockergelbe Bretze, ein zinnoberrotes Bierglas und ein giftgrünes Schnapsfläschchen und darunter der Name „Wassermacher Zsigmond“… Dann begegnen wir einige Mühlknappen und als ich in eine Straße gelangte, wo von allen Seiten melodisches Kuhgebrülle an mein Ohr schlug, da wurde mir zur Gewißheit, was ich bisher nur geahnt: ich war in der Franzstadt.
Es gibt wohl keine andere Stadt, deren Theile so grundverschiedenen Charakter aufweisen, als die Hauptstadt Ungarns. Mehr oder minder findet sich dergleichen überall, nur wird es wenig beachtet: dem flüchtigen Touristen sticht es nicht grell genug ins Auge und der Einheimische nimmt es eben als Gewohntes hin, über das man sich weiter keinen Gedanken macht. Wer aber Sinn und Auge für solche kleine Eigentümlichkeiten hat, kann ganz interessante und ergötzliche Studien machen, insbesondere in Buda-Pest. Denn hier gleicht nicht allein keine Vorstadt der andern, sondern jede derselben zerfällt noch überdies in sehr verschiedene Bezirke. So ist in dem kosmopolitischen Gewirre der inneren Stadt ganz deutlich ein kleines Gebiet mit spezifisch magyarischer Physiognomie erkennbar, so scheiden sich in Ofen die Bewohner nach den Nationalitäten, in der Josefstadt nach dem dem Besitztume und in der Franzstadt, die sich ganz von ärmeren Leuten deutscher Zunge bewohnt wird, nach der Berufsart. Da wohnen die Fiaker und die Wäscherinnen, die Müller und die Milchmaier, die Schuster und die Schneider, die Wagenbauer und die Schmiede und sie halten sich, ganz gegen alle Grundsätze moderner Volkswirtschaft, gern in eigenen Gassen zusammen. So kam ich in eine lange Zeile von Gärten, wo rechts und links an Stricken die gesamte Wäsche der vereinigten Hauptstädte schwankte und wieder in eine andere Gasse, wo wohl an die dreißig Schuster wohnten, stattliche Schuhmacher mit stattlicher Werkstatt und stattlichem Schilde und kleine, dürftige Flickschusterlein. Und wo ein Schild zu sehen war, da war gewiß ein kerndeutscher Familienname darauf und dazu ein kernmagyarischer Vorname. Es berührt dies den Deutschen eigen und auch ich machte mir so meine Gedanken darüber an jenem stillen Herbstnachmittage.
Aber zu dem gebräuchlichen Manöver: dem Faustballen in der Tasche gegen den magyarischen Chauvinismus konnte ich‘s nicht bringen. Etwas ist schon daran, aber ich denke, wir Deutschen hätten allen Grund, uns da auch an der eigenen Nase zu fassen. Denn warum sind die Väter dieser Leute fortgezogen aus der liebvertrauten Heimat an der Donau, am Neckar oder am Rhein, fort ins fremde, wilde Land? Weil sie’s daheim nicht mehr ertragen konnten, weil sie die Verhältnisse drüben zu Boden drückten. Der Eine wollte Meister werden und durfte es nicht – das Zunftrecht stand entgegen, der Andere wollte heiraten und konnte es nicht – ein grausames Gesetz der Patrizier hinderte ihn daran, den Dritten, einen Landmann, trieb sein Herr durch Fronden und Lasten schier zur Verzweiflung. So zogen sie fort. Und was nahmen sie mit – etwa einen deutschen Staatsgedanken, ein deutsches Volksbewußtsein?! Ach – damals gabs kein Deutschland, selbst der Gedanke an den ideellen Zusammenhang aller Deutschen dämmerte nur in erleuchteten Köpfen und was sie mitnehmen konnten, war höchstens ein reichstädtisch Ulmsches oder kurfürstlich Maizersches oder reichsritterlich Katzenellenbogensches Bewußtsein. So ein Bewußtsein aber verduftet leicht in der Fremde und verduftet‘s nicht von selber, so ist man sehr gerne geneigt, es freiwillig von sich zu werfen!… Was die Väter wirklich aus der Heimat mitgebracht: deutsche Sprache, deutsche Sitte, deutsche Tüchtigkeit, das haben die Söhne meistens bis heute bewahrt. Aber weil es ihnen hier gut ging, weil sie hier gedeihen durften im Schutze verhältnißmäßig freisinniger Gesetze, so nahmen sie gerne den neuen Staatsgedanken an und damit zugleich – unglückseliger-, irrtümlicher-, aber sehr leicht begreiflicherweise! – das neue Nationalitätsbewußtsein.
Diese Leute fühlen sich als Magyaren, auch wenn sie magyarisch nur „Éljen“ zu rufen wissen und „hunczut a német“… Diese Erscheinung ist sicherlich sehr beklagenswert und geradezu peinlich wäre sie, könnten wir uns nicht mit dem Worte trösten, das Grabbe seinen Hermann von den abtrünnigen Sigambrern sprechen läßt: „Blätterabfall der Eiche, die in Europas Mitte prangt. Sie kann viel entbehren und bleibt stark.“ Aber wer darüber empört ist, der richte seine Empörung nicht gegen diese Leute, mit denen es ging, wie es gehen mußte, sondern gegen – die Schuldigen. Und die Hauptschuldigen sind nicht die Bekämpfer des Deutschtums, sondern Diejenigen, die dafür eintraten, indem sie offiziell, wie man es eben verstand, „germanisierten“…
„Du schwarzgelber Hund!“
Laut und gellend klangen mir die Worte ins Ohr – ich fuhr auf aus meinen Gedanken und blickte um mich. Ich war noch in der Gasse der Schuster. Daß der Schimpf mir galt, konnte ich nicht zweifeln. Denn die Straße lag im hellen Sonnenscheine verödet, nur weit oben balgten sich zwei flachshaarige Buben und ein altes Weiblein hinkte an den Häusern dahin. Aber wie kam just ich zu dem Ehrentitel, den ich doch so wenig verdiene, wie selten ein Mensch?! Und wer war der Rufer?
„Éljen Kossuth! Éljen Kossuth!“
Ich wendete mich hastig um. Der Rufende mußte im kleinen Gassenladen stecken, vor dem ich stand. Es war die Werkstätte eines Flickschusters. Aber der alte Mann hockte mit überaus harmloser Miene auf seinem Dreibein und mühte sich emsig, eine lebensmüde Sohle zu fernerm Gange durchs Leben zu stärken. Er blickte erst auf, als ich dicht vor ihm stand. Derselbe, nicht schmeichelhafte Zuruf klang mir gleichzeitig aus dem Hintergrunde entgegen. Und nun konnte ich auch deutlich erkennen, daß das keine Menschenstimme war.
„Ach! mein Staarl,“ lachte der Meister und rief in einen Winkel: „Hansl, halt’s Maul.“ Da saß der stahlgrau schillernde Übertäter und blinzelte mich mit den klugen Auglein an. „Er meint’s nöt bös!“ tröstete mich ein Herr. „Wissen’s, er hat’s amal so g’lernt!…“
Ich mußte herzlichst lachen. „Das ist ja ein seltenes Thier.“ meinte ich dann, „man trifft kaum einen Staar, der so viele Worte kann und dabei so deutlich.“
„Ja“ bestätigte der Schuster stolz, “ a rares Stück. „Éljen Kossuth“ kann er rufen und “ Du schwarzgelber Hund.“ Und der Vogel bewies auch ununterbrochen, daß er das wirklich könne.
„Sie sind wol ein guter Patriot?“ fragte ich.
„Na freili!“ Der Mann blickte mich stolz an. „Und ob! Und was für a Badhrot! Die Conschtiduzion — dös is das Höchste! …“
„Sie meinen wol die von Achwndvierzig?“
„Na – die neuche a – die vom Siebenundsechz’ger Jahr.“
„Ich meinte, Sie wären von der Linken — weil der Vogel „Éljen Kossuth!“ schreit.“
„Na – wissen’s, dös kommt daher, weil i’s den Hansel noch im Sechz’ger Jahr g’lernt hab‘. Da war noch der Kossuth ’s Höchste. Später, im Siebenundsechz’ger Jahr, hätt‘ ichs gern g’sehn, daß er a „Hoch der König!“ lernt, oder weil er ’s Éljen noch vom Kossuth kann, „Éljen a Király!“
Aber da is er z’dumm dazu – i hob‘ mi eh g’nug gift!
Ja – – wann mei‘ Michel noch lebet! Der hätt‘ ‘s ganze Badhernoster g’lernt, wann i g’wollt hätt‘. Aber der is g’storben — schon im Sechsundfünfz’ger Jahr.“ Der alte Mann wurde fast wehmütig in der Erinnerung an den todten Liebling. Aber gleich darauf setzte er grimmig hinzu: „Die schwarzgelben Hund‘ haben ihn um’bracht!“
„Wen?“ fragt ich erstaunt.
„Na – den Michl, wen denn sonst?!“
„Und den haben die Schwarzgelben getödtet?“
„Freili ja! In Ofen hoben’s ihn eing’sperrt und a Proceß haben’s ihm g’macht und nacher um’bracht. Wissen’s — wegen Hochverrat!“
„Wa – a – s? Einen Staar?“
„Sie glauben’s nöt? Wahr is doch! – Fragen’s nur in der ganzen Pester Stadt! Wegen Hochverrats – so a lieb’s Thierl!“
„Aber wie ist das nur zugegangen?“
„Ja – segen’s dös war a so!“ Der alte Mann nahm die Hornbrille von der Nase und erzählte:
„’s war grad a Tag wie heut, schön, zu heiß a nöt, da sitz i da mit mei Michel und mir plauschen halt. No ja – Jemanden muß der Mensch zum Plauschen hab’n – i hab kei Weib, i hab kei Kind – also plausch i mit’n Michel. I red und er plappert, was er g’lernt hat— „du schwarzgelber Hund!“ und „Éljen Kossuth!“… I sag Ihna, der Michel hat vastanden, was er g’sagt hat und mi hat er a vastanden, besser wie a Mensch. Und wie wir so sitzen und plauschen, stürzt auf amal a blutjunger Leitnant herein, roth wie a Indian und schreit: „Wo ist der Hund? Wo ist der Kerl, der mich beschimpft hat?“ Und dabei zittert er Ihna nur so vor Wuth … „Herr Leitnant,“ sag‘ i, „verzeihend, mei Michel, das Staarl!“ „Wo?“ schreit der Officier, „wo ist die infame Bestie, ich dreh‘ ihr den Hals um!“ … Da werd‘ i a fuchtig. „Herr Leitnant,“ sag‘ i,“a Beschtie is der Michel nöt und infam noch wen’ger und dös mit’n Halsumdreh’n – dös schon am Wenigsten! Das Thierl g’hört mein – vastanden, Herr Leitnant?“
Da gibt er mir an Stoß in d‘ Brust und schreit alleweil vom Erschießen und Hängen. Dann lauft er weg und schreit noch zurück: „Du Rebell, ich will Dich schon Mohren lernen“ … „Meintswegn“, schrei i ihm nach, „i bin a Pester Bürger, i fürcht‘ mich vor kan Mohren nöt!“ Dann denk i aber nach, ’s war halt gar so a schwere Zeit und die Böhmaken hab’n uns g’schunden, wie’s g’wollt haben, und a Gerechtigkeit war nöt z‘ finden und da is mir angst und bang wor’n. „Michl,“ sag i, „paß auf, mit dem sein wir noch nöt fertig! Michl! Da hast uns alle zwei in a schöne Patsch’n einibracht!“ Und der Michel hat’s a g’spürt, der is ganz dasig dag’sessen. Und richtig – zwei Stunden d’rauf komm’n so zwei Naderer, zwei vastuchtige Böhmaken und packen mich z’samm und ’n Michel a und schleppen uns alle zwei über d‘ Brücken nach Ofen, in d‘ Polizei-Direction. Und dort führens uns um a, wie narrisch, bis m’r endlich zan Commissär kommen sein, zan Herrn v. M. Ich hab‘ ihn eh ‚kennt, er war a Pester, aber mit die Schwarzgelben hat er’s g’halten — der Schift.“ Der Schuster spuckte verächtlich aus. „No — und der hat uns ausg’fragt, wie mir heißen und wie alt mir sein, der Michel und i und wie lang i den Vogel hab‘.“ „Seit’n Siebenundvierz’ger Jahr“, sag i. „Und wann Haben’s ihm solche Niederträchtigkeiten g’lernt?“ fragt er. Aber das war m’r z’viel! „Niederträchtigkeit?!“ sag‘ i, „im Achtnndvierz’ger Jahr war das ka Niederträchtigkeit nöt und heut is es auch ka Schlechtigkeit und wann’s damals a Niederträchtigkeit war, so sein Sie, Herr v. M. a schlecht und niederträchtig g’wesen!“ Wissen’S, i bin halt gach! Und dös war a Unglück für mi und mei Michel. Denn der Herr von M. is fuxteufelswild wor ’n und hat g’schrien: „In den Arrest mit ihm!“ Und da haben’s – mi fortg’schleppt und — und mein Michel hab i sidera dem nimmer g’sehn!“
Dem alten Menschen traten wirklich und wahrhaftig die Tränen in die Augen. „Und wie war’s nachher?“ fragte ich nach kurzer Pause.
„I sag Ihna – dumm und schlecht sein die Schwarzgelben g’wesen – s’is nöt kan verzählen.“ Aber dann erzählte er doch: „Acht Tag bin i in’n Arrest g’sessen und alle Tag haben’s mi ausg’fragt und alle Tag hab i’s Nämliche g’sagt: „In Achtundvierz’ger Jahr — da hab i’s dem Michel vorg’sagt und damals is dös ka Sünd g’wesen.“ Aber allweil haben’s von mir a Geständniß g’wollt. „Ich waß ja n’x mehr,“ hab i g’sagt, aber g’nutzt hat’s nix. Und dem Michel haben’s – gar an narrischen Namen geben – „horpus dixi“ haben’s ihn all’weil g’nennt. Und nachher haben’s mi ins Criminal g’steckt und erst drei Wochen drauf haben’s mi wieder ausg’lassen. „Wo is mei Michel?“ frag i den Kerkermeister. „Der bleibt in Untersuchungshaft“ sagt er, „sein’s froh, daß die Herrn Ihna laufen lassen!“ – „Herr Kerkermeister“ wispel i, „hier Haben’s an Zwanziger – sagen’s ehrlich — wo is mein Michel?“ – „No,“ sagt er, „wann’s g’rad wissen wollen: todt is er. Die Herren haben a Sitzung g’halten und weil er so hochverrathisch g’redt hat, so haben’s beschlossen: hin muß er wer’n. Und da hab ich ihm Ratzenpulver ins Futter g’mengt…“ Segens – das war das End von mein Michel!“
So erzählte der alte Mann, und ohne daß ich „die ganze Pester Stadt“ zu fragen brauchte, konnte ich erkennen, daß er die buchstäbliche Wahrheit gesprochen. Es war eigentlich eine heitere Historie, die er mir erzählt, die Historie von dem Sturuno vulgaris, den im Jahre 1856 ein k. k. Gerichtssenat wegen hochverräterischer Reden zum Tode verurteilt. Wer – ich weiß nicht – lachen konnte ich doch darüber nicht, als ich bei sinkender Sonne langsam wieder der Stadt zuschritt.