Guido Görgeys Erinnerungen an den Versuch, Antal Szerb zu retten (Auszug)
Zusammen mit meinem Freund und Kollegen, Generalleutnant Jenő Thassy, stand ich in Kontakt mit Leuten, die etwas dagegen tun wollten, dass wir in die traurige Rolle des letzten Gefolgsmanns von Hitler fallen. Aber wir wollten auch den Verfolgten helfen, wo und so viel wir konnten. Unter meinen Schriftstellerfreunden machten uns Nándor Korcsmáros, der nach dem Krieg Präsident des Fészek-Clubs wurde […], und István Sőtér darauf aufmerksam, dass Antal Szerb in einer Fabrik in Kőbánya Arbeitsdienst leistete. Es war zu befürchten, dass bei einer Eskalation der Lage die körperlich Schwächeren den Krieg nicht überleben würden. Jenő Thassy fand einen Platz für ihn auf der Station für Infektionskrankheiten, und wir wussten, dass wir ihm, sollte er von dort wieder gehen müssen, auch einen anderen Platz finden würden.
Ich hatte einen Kleinwagen, einen Adler Junior, den ich, wenn auch unregelmäßig, frei benutzte. Freilich ohne das Recht dazu, denn zu dieser Zeit war der Betrieb eines Privatwagens nur mit einer Sondergenehmigung möglich, gekennzeichnet durch einen dreieckigen Aufkleber mit dem Buchstaben „E“, der an die Frontscheibe geklebt wurde. Diesen hatte ich am Wagen, aber im Frühjahr 44 wurde mir die Lizenz entzogen. Jedoch nur die Zahl unter dem Buchstaben E wurde weggekratzt. Ich habe deshalb den Scheibenwischer über den Kratzer gestellt und bin damit weitergefahren. Jenő Thassy hatte ein Motorrad, mit einem Ersatzsitz hinten. Er hatte eine dringende Angelegenheit und brauchte mein Auto für zwei Tage. So wurde meine Aufgabe, Antal Szerb auf einem Motorrad zur Flucht zu verhelfen.
Es war ein sonniger Morgen, vielleicht ein Samstag. Als ich mit dem Motorrad zum Arbeitslager fuhr, vielleicht war es eine Art Fabrik, öffnete der Wachmann, der meine Uniform sah, das Tor von selbst. Ich fuhr hinein und fragte jemanden auf dem Hof nach Antal Szerb. Nach ein paar Minuten kam mein Lieblingsschriftsteller auf mich zu, ein kleiner, schlanker Mann mit Brille und mit der Austrahlen von Genies auf dem Gesicht. Ich schaute mich um, und als ich sah, dass niemand in der Nähe war (ich saß auf dem Motorrad, mit den Füßen auf dem Boden, weil der Ständer defekt war), stellte ich mich vor und erzählte ihm, dass meine Freunde Sőtér und Korcsmáros mir gesagt hatten, dass er hier sei, und dass wir ihn herausholen und an einen Ort bringen wollten, an dem schon andere waren und wo er unserer Meinung nach viel sicherer wäre als hier. Ich sagte ihm, dass wir jetzt gehen müssten, wenn er will, kann er ein paar Sachen mitnehmen, aber kein Gepäck, keinen Koffer. Er soll es niemandem sagen und zurückkommen, ich warte hier auf ihn. Ich sagte, ich sei mir sicher, dass ich ihn durchs Tor bringen kann. Wenn der Wachmann fragt, sage ich, dass ich ihn zu irgendeiner Arbeit führe. Außerdem sind wir auf einem Motorrad, er wird nicht nach uns schießen. Auch wurde über Funk ein Störflug gemeldet und ein Luftangriff erwartet, bei dieser Gelegenheit buchstäblich eine Hilfe vom Himmel. Er sah mich an, schien zu zögern und sagte dann, er könne sich nicht so schnell entscheiden. Er fragte mich, ob ich irgendwelche Einwände hätte, wenn er mit seinen besten Freunden darüber spricht, und ob ich wiederkommen könnte. Obwohl ich das nicht erwartet hatte, verstand ich, dass eine solche Entscheidung in solch turbulenten Zeiten nicht einfach sein kann. Ich sagte, ich würde am nächsten Tag um diese Zeit zurückkommen. Ich bat ihn, vorsichtig zu sein und verabschiedete mich.
Am nächsten Morgen ging ich ins Krankenhaus, überprüfte den Ort und die Art und Weise, wie er hinübergebracht werden sollte, und ging dann, um ihn zu sehen. Als er herauskam, bat er mich, ihn ins Zimmer zu seinen Freunden zu begleiten. Es war ein kleiner Raum mit Etagenbetten, und wir saßen zu fünft um einen kleinen Tisch herum, einige auf den Betten. Er stellte kurz seine Freunde vor, aber ich erinnere mich nicht an ihre Namen, ich glaube, ich habe damals nicht darauf geachtet. Ich wollte mich beeilen, denn es wäre schwierig gewesen, meine Anwesenheit zu erklären, wenn man die Tür geöffnet hätte. Mit mir stand es auch nicht gut. Außerdem ließ mich der Wachmann, der nicht derselbe war wie am Vortag, erst nach vieler Befragung ein. Ich hatte Angst, dass es zu einem Zwischenfall kommen könnte, wenn wir rausgehen. Ich beschloss, mich durchzusetzen und dem Wachmann eine ordentliche Standpauke zu halten, sollte er mich etwas fragen wollen. Wir haben uns vielleicht zehn Minuten unterhalten. Ich habe jetzt Antal Szerb gesagt, dass er in einem Krankenhaus Platz habe, aber ich habe nicht gesagt, in welchem. Ich erinnere mich, dass er sich bereits zu einer Antwort entschlossen hatte. Er fragte mich, was mich dazu veranlasst hat, mich auf diese Weise für ihn zu engagieren. Ich antwortete ihm, dass ich seine Bücher gelesen habe, dass ich ihn sehr schätze und unendlich viel Respekt vor ihm habe. Deshalb möchte ich ihm helfen. Er sagte etwas in der Art, dass er noch nie so sehr die Macht eines Schriftstellers gespürt hätte, die einen Mann, der ihn nicht kannte, dazu bringen kann, ein solch riskantes Unterfangen zu unternehmen. Dann lehnte er ein zweites Mal ab: Er hätte noch nie gegen das Gesetz verstoßen. Mir fuhr durch den Kopf, auf welche Gesetze er sich bezieht, und dass das Regiment, in dem er sich befindet, unter dem Schutz des päpstlichen Nuntius steht. Aber die Zukunft schien ungewiss und bedrohlich. Ich habe ihm diese meine Meinung auch gesagt. Antal Szerb brachte dann sein letztes Argument vor, das meiner Meinung nach das überzeugendste war: Er wollte seine Freunde nicht verlassen. Ich sah mich um, niemand sprach dagegen. Es war eine beschlossene Sache. […]
Deutsch von Endre Hárs
Quelle: A valóság valószínűtlen lett. Szemelvények a magyar Holokauszt-irodalomból I. A szövegeket válogatta, a kötetet és a jegyzeteket összeállította Török Dalma [Die Wirklichkeit ist unwahrscheinlich geworden. Texte aus der ungarischen Holocaust-Literatur. Ausgewählt, herausgegeben und kommentiert von Dalma Török]. Tevan Alapítvány 2015, 110–112.
Mit freundlicher Genehmigung der Tevan-Stiftung.