Letztes Gespräch mit dem Emigranten Franz Werfel in Europa
- Übersetzt von: Orsolya Rauzs
- Publikationsdaten: Ort: Budapest | Jahr: 1945
- Erschienen in: Új Idők
- Ausgabe-Datum: 15. 09. 1945
- Sprachen: Deutsch
- Gattung: Artikel
Übersetzung
Leon Andor: Letztes Gespräch mit dem Emigranten Franz Werfel in Europa
Die ganze internationale Presse berichtete vor Kurzem darüber, dass Franz Werfel, der weltberühmte österreichische Dichter, in seinem amerikanischen Exil unerwartet verstorben ist. Der Autor dieser Zeilen war der letzte europäische Reporter, der sich mit dem Emigranten Werfel vor seiner Reise nach Amerika auf der Terrasse eines Cafés in Paris unterhalten hat. Das Interview wurde damals nicht veröffentlicht und vom Autor unter seinen alten Notizen erst jetzt entdeckt. Er präsentiert nun die Gedanken des verstorbenen Dichters über ewige Probleme.
Juli 1938 … Paris … schwüle Hitze … schmelzender Asphalt. Werfel und ich sitzen auf der Terrasse des Café Royal. Er wartet gerade auf Joseph Roth, den Autor von „Radetzkymarsch“, und auf Tschuppik. Er will sich von ihnen verabschieden, denn in ein paar Tagen geht er in Marseille an Bord … Wir sprechen darüber, dass sein neustes biblisches Werk bald in New York aufgeführt wird. Ich frage ihn, ob seine Werke in Zukunft oft auf der Bühne erscheinen werden.
– Nein, gar nicht. Abgesehen von leichten, unterhaltsamen Stücken, von welcher Gattung ich nichts verstehe, werden im Theater heutzutage größtenteils aktuelle Werke gespielt bzw. sind solche erwünscht … Zeitgemäße Stücke … und Trend … und Aktualität … Das alles interessiert mich nicht, denn ich bin ein prinzipieller Gegner jeder Aktualität, und ich glaube außerdem, dass das Theater von heute, so sehr es sich auch bemüht, unsere Zeiten doch nicht widerspiegeln kann. Es ist auch unmöglich. Es bleibt eine ewige Wahrheit, dass man dazu eine historische Perspektive braucht. Ich denke, in den jetzigen turbulenten Zeiten ist die epische Form eine bessere Ausdrucksform als das Drama.
– Und der Roman?
– Der Roman ist teilweise anders. Er ist eine Bestandsaufnahme der lagerartigen Sammlung der aktuellen Phänomene. In einem Lagerhaus wird ja nur gelagert, was man hat, also nicht alles Mögliche. Das Drama ist aber eine Bilanz, eine abschließende Konklusion – und es sollten nur fertige Dinge gewogen werden. Ein gutes Drama kann man nur über eine abgeschlossene Periode schreiben, und der Dramatiker muss in einer ruhigen Zeit arbeiten. Calderón und Shakespeare schrieben in relativ glücklichen Friedenszeiten. Unser Zeitalter ist noch nicht abgeschlossen. Wir leben in einer Übergangsphase, deren ständige und schnelle Entwicklung zu großen Veränderungen und vor allem zu einer Einengung des Raums führt. Alles, was jetzt passiert, ist nichts anderes als ein fieberhaftes Bemühen der Menschheit, sich an die durch Technik veränderten Umstände zu gewöhnen … an den kleineren Raum und die kleinere Welt, wo man versucht, neue Formmöglichkeiten des Lebens zu finden.
– Wir haben früher in Wien viel darüber gesprochen – wie ich mich erinnere –, dass sich Dichter mit einer bequemen Haltung von den aktuellen Geschehnissen distanzieren, während die Menschheit Ihrer Ansicht nach fieberhaft nach neuen Lebensformen sucht. Denken Sie nicht, dass Dichter die Aufgabe hätten, den Weg zu zeigen sowie in Bezug auf die zu lösenden Probleme Stellung zu nehmen?
– Meiner Ansicht nach müssen Dichter keine Stellung nehmen, zumindest nicht in ihren Werken. Wer wegen seiner impulsiven Natur auf die Tagesgeschehen zu intensiv reagiert oder wer dazu verdammt ist, sein Wort als leeren Schrei in der Wüste verklingen zu lassen, den kann man nicht daran hindern, sich vor der Öffentlichkeit zu äußern. Jedoch ist diese persönliche Stellungnahme oder aktive Beteiligung an den Tagesgeschehen weder Zwang noch Pflicht, und sie ist auch nicht wichtig. Für Dichter, deren Uhr die Zeit anders misst als die der Politiker, sind nur ihre Werke wichtig und nichts anderes. Wenn sie nach dem Wesen der Kunst streben, müssen sie sich von den Aktualitäten loslösen und so arbeiten, als würden sie zweihundert Jahre früher oder später leben. Sie können nur in der völligen Loslösung von Heute die relative Ruhe finden, die für das Schöpfen notwendig ist.
– Haben Sie Ihre Ansicht jetzt in der Emigration nicht geändert?
– Ich halte es nicht für notwendig, meinen früheren Standpunkt in der Emigration zu korrigieren. Glauben Sie aber nicht, dass ich eine blasse Ästhetik predige, nur weil ich das bequemer finde. Wenn ich hochmütig sein wollte, könnte ich die Anklage der Elfenbeinturm-Theorie damit zurückweisen, dass ich mit zwanzig Jahren wegen eines Gedichts vor ein Kriegsgericht gestellt wurde … Aber das geschah in der „Sturm-und-Drang-Periode“ meiner Jugend, in der ich weder der Kunst noch der Menschheit etwas genutzt habe. Aber es liegt mir fern, mich mit solchen billigen Ausreden der Verantwortung zu entziehen. Ich habe vorhin von der relativen Ruhe gesprochen, die für das Schöpfen notwendig ist. Nun, diese Ruhe ist tatsächlich relativ, denn der wahre Dichter ist ein ewiger Antagonist des aktuellen Kollektivs und ein Feind jeder verwirklichten Idee, die seiner Meinung nach stirbt, sobald sie verwirklicht wurde. Ein Künstler ist also immer unzufrieden, und zwar sowohl mit sich selbst als auch mit der Welt, und er hegt ewige Rebellion und Revolution. Aber das ist eine Notwendigkeit und ein Programm von innen.
– Was passiert dann, wenn der Dichter gleichzeitig Journalist ist und deswegen zu den aktuellen Fragen täglich Stellung nehmen muss?
– Das ist natürlich wieder ein anderes Kapitel. Dichter können für Zeitungen schreiben – obwohl es besser ist, wenn sie das nicht tun –, das ist dann die persönliche Stellungnahme, über die ich schon gesprochen habe. Aber die literarische Tätigkeit muss davon unabhängig sein. Diese Frage wird noch durch das Schicksal von Schriftstellern der kleinen Nationen verkompliziert, die aus sprachlichen Gründen nur ein kleines Publikum haben und sich meistens auch aus finanziellen Gründen hinter die Bastei des Journalismus flüchten müssen. Aber auch in ihrem Fall lässt sich die Grenze zwischen Literatur und Journalismus ziehen, nicht zu sprechen davon, dass Dichter – sobald es ihre finanzielle Situation ermöglicht – ihre Tätigkeit im Journalismus sofort beenden und in diesem Feld in Zukunft nur noch als Gäste wirken.
Roth und Tschuppik kamen jetzt an, der neuste Klatsch aus Wien wurde erzählt. Ich weiß nicht, ob Werfel noch etwas zu sagen gehabt hätte, und jetzt werde ich es auch nie erfahren …
Deutsch von Orsolya Rauzs
Leon Andor: Utolsó európai beszélgetés az emigráns Franz Werfellel. In: Új Idők, 15.09.1945, 194.