Über uns

Das Projekt „Praxisorientierte Erweiterung der Curricula im Fach Deutsche Philologie“ wurde von 2019 bis 2022 an den Germanistik-Instituten der Universität Wien, der Comenius-Universität Bratislava und der Universität Szeged durchgeführt und über das Programm Erasmus-Plus finanziert. Ziel des Projektes war, die Vielfalt an digitalisierten Originalquellen für die Ausbildung von Studierenden nutzbar zu machen, um die Vermittlung von Wissen innovativ, international und praxisnah zu gestalten.

Dafür sollten die in Archiven und Bibliotheken zahlreich vorhandenen digitalisierten literarischen Texte sowie literatur- und kulturgeschichtliche Quellen für die Lehre in der Germanistik besser zugänglich und inhaltlich aufbereitet werden. Entwickelt wurde eine frei verfügbare Online-Plattform, auf der nach ausgewählten Kriterien gesammelte digitalisierte Materialien zu finden sind. Die Texte und Quellen aus drei zentraleuropäischen Nachbarländern verdeutlichen dabei die Bandbreite der Germanistik im Sinne eines transnationalen Literaturbegriffs. Die Recherchen des Projekts und die Auswahl der Materialien waren sowohl von Überlegungen zu einer notwendigen Erweiterung des literaturgeschichtlichen Kanons geprägt als auch vom Anknüpfen an die Entwicklungen des Fachs Germanistik als Teil der Digital Humanities.

Wendejahre und Diskurse

Zeitlich konzentrierte sich die Sammlung auf drei historisch-politische Wendejahre: 1867, 1918 und 1945 markierten in allen drei Partnerländern zentrale gesellschaftliche Umbrüche. Inhaltlich orientierte sich die Auswahl an fünf transnationalen historisch-politischen Diskursen, zu denen Antisemitismus & Faschismus, Emanzipation & Revolution, Geschlecht & Sexualität, Krieg & Pazifismus sowie Nationalismus & Nationalitäten zählen. Hintergrund der Materialauswahl war die Frage, welche Texte von diesen gesellschaftlichen Umbrüchen erzählen und wie die Diskurse in der Literatur, im Film und im Theater aufgenommen, weitergeführt und transformiert wurden. Die Plattform versammelt neben Texten verschiedener literarischer Gattungen (u.a. Romane, Erzählungen, Lyrik, Feuilletons) auch Filme, Bilder und Karikaturen. Die Wendejahre dienten als zeitliche Orientierung, die Auswahl der Texte und Quellen beschränkte sich aber nicht nur auf die exakten Jahreszahlen, sondern ermöglichte in Kombination mit den Diskursen die Ausdehnung auf etwas größere Zeiträume rund um das jeweilige Wendejahr.

Zentraleuropa

Für die lokale Verortung auf dem Gebiet der ehemaligen Habsburgermonarchie erwies sich der Begriff ‚Zentraleuropa‘ als der neutralste und ergiebigste für die Plattform. Er bezieht sich auf ein heterogenes Ganzes, das gerade in seiner Unterschiedlichkeit eine Einheit bildet. Damit folgt das Projekt der kulturwissenschaftlichen Forschung, die sich abseits der Nationalphilologien darum bemüht, grenz- und sprachübergreifende Wirkungsmechanismen von Literatur zu erfassen, historische Parallelentwicklungen zu analysieren sowie die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen von Texten regional und komparatistisch zu verstehen. Dazu zählen die kaum eindeutig bzw. endgültig zu ziehenden Grenzen, sich überlappende sprachliche, religiöse und nationale Identitäten, kulturelle Verflechtungen, aber auch die Produktion von Alterität und Abgrenzungen verschiedener Bevölkerungsgruppen.

Quellenbestände

Die ausgewählten literarischen Zeugnisse sowie literatur- und kulturgeschichtliche Quellen – vorwiegend deutsch-, zum geringeren Teil auch ungarisch- und slowakischsprachig – , die sich auf der Plattform befinden, sind von dieser Heterogenität Zentraleuropas geprägt. Unsere Sammlung basiert auf digitalisierten Beständen verschiedener Institutionen wie der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, der Wienbibliothek im Rathaus, der Bayerischen Staatsbibliothek München, der Universitätsbibliothek Bratislava, des Herder-Instituts, des Münchner Digitalisierungszentrums sowie des Digitalen Forums Mittel- und Osteuropa. Ausgewählte Quellenbestände wurden aus den am Projekt beteiligten Herkunftssprachen auf Deutsch übersetzt, vereinzelt wurden weitere Quellen im Rahmen des Projektes digitalisiert. Hier ist die Kooperation mit der Wienbibliothek und der Universitätsbibliothek Bratislava hervorzuheben, für die wir uns ausdrücklich bedanken möchten. Die Sammlung ist ohne Ansprüche auf Vollständigkeit als exemplarisch zu verstehen und war besonders von der digitalen Verfügbarkeit sowie sprachlichen und urheberrechtlichen Aspekten bestimmt: Vor allem für das Wendejahr 1945 konnten zahlreiche noch urheberrechtlich geschützte Werke nicht direkt eingebunden werden. Ebenso konnte die nach 1945 einsetzende literarische Produktion der Nachbarländer, die kaum mehr auf Deutsch stattfand, nur in Auszügen mithilfe von Übersetzungen berücksichtigt werden. Ergänzend zum Projektteam waren an der Materialsammlung Studierende beteiligt: In mehreren Lehrveranstaltungen der drei Partneruniversitäten wurde im Zeitraum 2019 bis 2022 mit digitalisierten Materialien gearbeitet und in spezifischen digitalen Beständen recherchiert.

Perspektiven für die Lehre

Neben der Auswahl an literarischen Texten und literatur- und kulturgeschichtlichen Quellen bietet die Plattform ausgewählte Aufgabenstellungen an, die für die Lehre in der Germanistik erstellt wurden und für verschiedene Zielgruppen adaptiert werden können. Die praxis- und kompetenzorientierten Aufgaben beziehen sich auf spezielle Fertigkeiten im digitalen Zusammenhang wie das Lesen von Fraktur, das Recherchieren in Datenbanken oder das Verwenden digitaler Tools. Außerdem fokussieren inhaltlich orientierte Aufgaben die Themen, die sprachlichen Besonderheiten und Kontexte der Quellen.

Umsetzung der Plattform

Die an der Universität Wien angesiedelte Plattform ermöglicht eine Vorschau auf die Originalquellen und bietet eine Navigation nach zeitlichen und inhaltlichen Kriterien an, die digitalen Objekte bleiben jedoch bei den jeweiligen bestandsgebenden Institutionen gespeichert. Technisch basiert die Plattform auf WordPress und einer eigens entwickelten My-SQL-Datenbank, die für den Datenimport erstellt wurde. Die Quellen wurden mit ausgewählten Metadaten erschlossen (u.a. Autor*in, Medium, Bestandsgeber, unterschiedliche Textgattungen bzw. Medienformate wie Bilder oder Film) und bestimmten im Projekt entwickelten Taxonomien zugeordnet, zu denen der zeitliche Bezug zu den drei Wendejahren und die Zugehörigkeit zu den fünf definierten Diskursen zählten. Die Metadaten und Taxonomien dienen als Filter, um auf der Plattform auf die Materialien zuzugreifen. 

Die Langzeitarchivierung der redaktionellen Texte sowie die Sicherung der Daten ist durch die Einbettung in die digitale Infrastruktur der Universität Wien gesichert. Die auf der Plattform erarbeiteten redaktionellen Inhalte werden unter der freien Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Alle Urheberrechte und Nutzungsrechte der eingebetteten Archivmaterialien und der Bilder verbleiben bei den bestandsgebenden Institutionen.