1867

1867

1867 war von politischen Entscheidungen großer Tragweite gekennzeichnet, die den historischen Status quo grundlegend veränderten und gesellschaftliche Transformationsprozesse in der Habsburger Monarchie bzw. in Zentraleuropa einleiteten. Im Februar 1867 kam es als Konsequenz der außenpolitischen Niederlagen (1859 in Solferino gegen Frankreich, 1866 bei Königgrätz gegen Preußen) und der innenpolitischen Entwicklung zur verfassungsrechtlichen Umformung des Habsburgerreiches. Durch Gründung der kaiserlichen und königlichen (k.u.k.) Doppelmonarchie wurden die reichsinternen Nationalismen wesentlich verändert: Ungarn wurde die lang ersehnte territoriale und institutionelle Autonomie zugesprochen, während das Streben nach einer austroslawischen Föderalisierung scheiterte.

Die Gründung der Doppelmonarchie resultierte zwar aus den zwangsläufigen politischen Kompromissen verlorener Kriege, aber ihre Bilanz fiel in konjunktureller Hinsicht ereignisreich und positiv aus. Mit der Staatsreform trat im Dezember 1867 die erste österreichische Verfassung in Kraft, die den Bürger*innen der österreichischen Reichshälfte persönliche Grundrechte und damit mehr soziale Gerechtigkeit sowie größere Beteiligung an den gesellschaftlichen Prozessen gewährte. In der ungarischen Reichshälfte brachte der Ausgleich mit der politischen Elite staatsrechtliche Konsolidation. Er ermöglichte eine pragmatische Dezentralisierung und Entlastung der bürokratischen Verwaltung sowie die Emanzipation vormals benachteiligter sozialer Schichten. In der Folge differenzierte sich das politische Parteiensystem aus, insbesondere wurden in beiden Reichshälften sozialdemokratische Arbeiterparteien gegründet. Zugleich verschärften sich die Klassengegensätze und wurden Geschlechterfragen immer dringlicher.

Mit der Einführung der Währungs- und Zollunion wurde die verheerende Misswirtschaft in Ungarn beendet. Die Gründerjahre und die darauffolgende Belle Époque der Doppelmonarchie standen größtenteils im Zeichen struktureller Veränderungen: Mit dem Ausbau der modernen Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur (Eisenbahnnetz, Straßen-, Brücken- und Städtebauprojekte, Postwesen, Telegrafie etc.) und der Verbreitung neuer Technologien (Elektrotechnik und Maschinenbau) nahm ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung seinen Lauf. Die Konjunktur trieb die Urbanisierung und die Herausbildung der kapitalistischen Massenmedien voran, mit Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Transformations- und Umverteilungsprozesse. Man bediente sich verstärkt medialer Bildungs- und Unterhaltungsangebote, und es entstand zunehmendes Interesse für wissenschaftliche Erkenntnisse und die kulturelle Repräsentation der eigenen Wirklichkeit. Die gesellschaftliche Modernisierung wurde von der Etablierung staatlicher Institutionen (Bildungswesen, Postwesen, Sozialversicherung etc.) und der Gründung zahlreicher privater Unternehmen vorangetrieben. Nicht zuletzt spielte dabei die Finanzierung des Kunst- und Kulturbetriebs (z.B. Theater-, Konzertsaal- und Museumsbauten) eine wichtige Rolle. Das kulturelle Leben wurde durch vielfältige Institutionen (bürgerliche Vereine, Cafés, Cabarets, Galerien, Salons etc.) gefördert.

Der wirtschaftliche Aufschwung stieß jedoch 1873 an seine Grenzen: Der Wiener Börsenkrach zog in der gesamten Monarchie starke soziale Konflikte nach sich und verstärkte antisemitische Tendenzen. Die ökonomische Krise deckte die mangelnde Integration der jüdischen Bevölkerung und der verarmten Arbeiterschichten auf. Gleichzeitig vergrößerten sich die Spannungen zwischen den Nationalitäten. Trotz der mehrfach als krisenhaft und diffus erlebten modernen Lebenswirklichkeit zeugten die journalistischen, literarischen und visuellen Angebote der Tagesblätter und illustrierten Zeitschriften von einem starken Bedürfnis nach Kompensation und Verklärung. Die folgenschweren Aspekte der historischen Realität wie soziale Not, nationale Unzufriedenheit oder hegemoniale Geschlechterordnung wurden dabei weitgehend ausgeblendet.