a—ch.: Unter uns gesagt
Unsere Juden … Erschrecken Sie bitte bloß nicht über dieses Wort. Warum beginne ich gerade mit dieser furchtbaren Bezeichnung? Es gibt einen Grund dafür. Es wird sich schon herausstellen, welchen.
Wir müssen uns über den Standpunkt in Bezug auf unsere Juden, d.h. über die Meinung jedes einzelnen Nichtjuden ins Klare kommen. […]
Kluge Menschen sind natürlich der Ansicht, dass bestimmte Güter nur so viel Wert haben, wie andere ihnen beimessen.
Die Juden scheinen jetzt ausnahmsweise gering geschätzt zu werden. Soweit, dass es berechtigt wäre, wenn sie den oberen linken Teil ihres Mantels nach ihrer alten Trauersitte einreißen würden.
Dermaßen in die Falle tappen!
In welche?
Sehen wir alles schön der Reihe nach.
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Es wurde über „unsere Juden“ lobend gesagt, dass sie auf dem Lande schon größtenteils magyarisiert sind und nur noch in der Hauptstadt die Germanisierung bevorzugen.
Diese Aussage erklärt alles.
Wenn Ungarn endlich ein unabhängiges Finanzwesen und damit auch einen ungarischen Handel haben wird, der nicht von den Brosamen seines selbstgebackenen Kuchens aus der Gnade und Barmherzigkeit anderer leben muss, werden sich auch die Juden der Hauptstadt magyarisieren lassen.
Nun, die Landjuden sind ungarisch geworden, weil sie dort die Kunden sind, d.h. sie sind zur Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse auf Menschen angewiesen, die Ungarisch sprechen. Genauso ist es mit den Juden der Hauptstadt in Bezug auf Wien. Dort oben gibt es mächtige Herren. Man sollte den ungarischen Handel von Wien unabhängig machen, und man wird schon dessen Auswirkung sehen.
Aber dieser Wunsch ist wahrscheinlich genauso unrealistisch, als würde man erwarten, dass die österreichischen Minister mit ihren ungarischen Kollegen Ungarisch sprechen. Wegen solcher Sachen erleben die Ungarn eine moralische Demütigung.
Die Deutschen werden überall in den Vordergrund gestellt. Wer würde sie nicht vergöttern, wenn sie auch die Notenpresse in der Hand haben? Und der ungarische Mensch wird als Spezialität, als ein seltsamer Kauz vorgestellt, der ab und zu sogar Holz auf ihrem Rücken hacken lässt, solch ein großer Narr ist er.
Wie das Ansehen eines solchen großen Narren wohl sein mag, sollte man auf der Waage unserer gemeinsamen Angelegenheiten mit Österreich bedenken.
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Ich weiß nicht, was andere denken, aber ich stelle mir oft vor, was für eine schöne Welt es gewesen sein muss, als der Glanz des ungarischen Königshofes von Ludwig I. sowie Matthias Corvinus in Visegrád und Buda viele andere Länder überstrahlte. Das war die Quelle des ungarischen Lebens.
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Nehmen wir an, dass wir eines Morgens sehen würden, dass es im Umkreis des Monarchen Änderungen gibt: Seine ständige Residenz wäre nicht mehr in Wien, sondern in Buda, die Botschafter der ausländischen Höfe würden in der ungarischen Hauptstadt wohnen und alle Hofbediensteten wären Leute, die außer Ungarisch keine andere Sprache sprechen würden.
Gehen wir weiter.
Nehmen wir an, es gäbe eine ungarische Armee – statt der jetzigen, wo die „magyarischen“ Jungen auf „deutsche“ Kommandos hören müssen.
Daneben könnte natürlich die Freundschaft aufrechterhalten werden.
Könnte man dann unsere Juden beschuldigen?
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Können Sie sich noch daran erinnern, was die Zeitungen vor 1867 schrieben, und zwar mit besonderer Betonung?
Die Mehrheit pflegt die tiefere Bedeutung einer derartigen Betonung kaum zu begreifen.
Es wurde damals in der Presse hervorgehoben, dass der und der dann und dann in ungarischer Sprache angesprochen wurde, dass man sich in den prunkvollen Sälen der Budaer Burg ungarisch zu unterhalten pflegte und dass die prominenten Gäste in ungarischer Kleidung den Csárdás tanzten.
All das ließ die Herzen der Ungarn höher schlagen.
Diese schönen Tage – oder eher Abende – waren dann bald vorbei.
Was darauf folgte?
Schauen Sie sich um.
Wir stehen jetzt zum Ungarischen folgendermaßen: Wenn ein Bärenführer sein dressiertes Tier auf Ungarisch zum Brüllen nötigt, klatschen wir begeistert, um die Leistung anzuerkennen, dass ein Ausländer zum Broterwerb von den Zigeunern am Dorfrand ein paar ungarische Worte gelernt hat.
Das zeigt, dass wir die Überlegenheit unserer Sprache nicht im Ernst aufrechterhalten wollen. Der Grund, auf den wir uns stützen, wenn wir die Verwendung des Ungarischen fordern, ist schwach, denn die oberste Schicht unserer Gesellschaft ist fremd.
Warum folgt der ungarische Graf nicht dem englischen Lord oder dem französischen Marquis und will kein ungarischer „Gróf“ werden? Deshalb, weil er kein ungarisches Vorbild für seine Prunksucht sieht. Folglich zieht er, wenn auch von öffentlichem Gelächter begleitet, den roten Frack an.
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Aufgrund des Gesagten bin ich der Meinung, dass das Deutschtum unserer Juden nur die Fehler von anderen zeigt.
Was die Gesetze über Einbürgerung oder Zivilehe bewirken werden, damit beschäftige ich mich nicht. Vielleicht wird das gewünschte Ergebnis nicht ausbleiben.
Tatsache ist und man muss es unseren Juden klipp und klar sagen, dass sie die ungarische Literatur, insbesondere die Zeitungsliteratur, zurzeit aus welchem Grund auch immer nicht unterstützen, d.h. dass sie keine ungarischen Zeitungen abonnieren.
Nun, das wollte ich in diesem Kreis mitteilen.
Deutsch von Orsolya Rauzs
Köztünk szólva. In: Magyar Újság 30. 09. 1874, o.S.