Mária Ruzitska: Geduld ist ein Bauteil der Liebe … (zehnminütiges Gespräch mit Anna Kéthly)
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„Welche Eigenschaft brauchen Frauen heutzutage am meisten?“
„Geduld“, antwortet sie ohne Zögern, als ob sie auf diese Frage gewartet hätte. „Geduld mit der entstehenden Demokratie, mit den Menschen und mit den sich häufenden Problemen. Frauen sollten nicht nervös oder unruhig sein. Sie sollten versuchen, sowohl in ihren Gedanken als auch in den Problemen unserer Welt Ordnung zu schaffen. Sie sollten auch versuchen, Prioritäten zu setzen und ihre Pflichten in der Reihenfolge dieser Probleme zu erfüllen.“
„Und die Liebe?“
„Geduld ist ein Bauteil der Liebe“, antwortet sie lächelnd.
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„Was hat die Welt davon, dass Frauen sich an der Politik beteiligen?“
„Bisher ist der Nutzen vielleicht noch nicht sichtbar gewesen, ähnlich wie bei der Herbstsaat eines Ackermanns, wenn sie im Winter unter Schnee liegt: Wer nichts von der Landwirtschaft versteht, weiß nicht, dass die Saat erst im Frühling aufgeht und erst der Sommer Ernte bringt. … Es hört sich unbescheiden an, wenn ich sage, dass heute noch ausschließlich auserwählte Frauen in der Politik tätig sind, denn ich gehöre selbst zu den Auserwählten. Frau Kollontai, Botschafterin der Sowjetunion in Stockholm, Mrs. Perkins, Arbeitsministerin der USA, Margaret Bondfield, Arbeitsministerin des Vereinigten Königreichs, und Ellen Wilkinson, Bildungsministerin des Vereinigten Königreichs – tatsächlich eine erlesene Gesellschaft … Aber bei dem Tempo, in dem sich die Welt auf ein gerechtes und moralisches – also ein humanes – System hinbewegt, werden auch durchschnittliche Alltagsmenschen mit ihrer eigenen Arbeit sowie Verantwortung helfen, eine ideale Demokratie zu entwickeln. Die Diktatur verhindert es, Verantwortung zu übernehmen … Den inneren Inhalt und den äußeren Charakter eines Systems kann man gleicherweise danach beurteilen, wie es sich gegenüber Frauen verhält. Ein faschistisches System behandelt Frauen immer als minderwertig, und auch wenn es die Arbeit von Frauen in der Kriegswirtschaft in Anspruch nimmt, verdrängt es sie unter normalen Bedingungen (wenn es im Faschismus überhaupt so etwas wie normale Bedingungen geben kann) in ihre alte, unwürdige Position.“
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„Was wollen Sie davon, was Sie in England gesehen haben, bei uns in erster Linie umsetzen?“
„Ich möchte eine öffentliche Meinung schaffen, deren Hauptmerkmal das gegenseitige Vertrauen der Menschen ist. Es ist ein sehr großer Unterschied, ob man eine andere Person für ehrlich und vertrauenswürdig hält, bis man sich vom Gegenteil überzeugt, oder ob man die Verhandlung damit beginnt, dass man den anderen für einen Schwindler hält. Ein solches Misstrauen führt zu einer vergifteten Stimmung.“
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Deutsch von Orsolya Rauzs
A türelem a szeretetnek egyik alkatrésze. Tízperces beszélgetés Kéthly Annával. In: Új Idők, 05.10.1946, H. 35, S. 589.