Elena Márothy-Šoltésová: Über die Frauenfrage
Die so genannte Frauenfrage greift bei uns noch nicht so tief ins Alltagsleben, und daher wird sie auch nicht so oft diskutiert, wie bei anderen, mehr entwickelten Völkern. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass, falls wir Slowaken gleichfalls vom stärkeren Strom der höheren Bildung erfasst werden, sie früher oder später auch bei uns ankommen wird. Wir können sie weder durch Ignoranz ausmerzen noch durch Ablehnung vor die Tür setzen. Am besten wäre es, ihr die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken und sie ohne Befangenheit zu betrachten.
Worin die von der Frauenbewegung geschaffene Frauenfrage besteht, über die in der Welt pro et contra diskutiert wird, lässt sich kurz beantworten: Darin, dass Frauen mit überraschendem Mut ganz ungewöhnliche, ihnen früher unzulängliche Aufgaben auf sich nehmen, die bis vor Kurzem ausschließlich Männer für ihre eigenen hielten. Frauen behaupten und argumentieren, dass aus bestimmten Gründen es notwendig sei, dass auch sie diese Aufgaben wahrnehmen – von Männern wiederum wird es geleugnet. Genauso verhält es sich mit der Frage, ob Frauen auch fähig sind, diese Aufgaben erfolgreich zu erfüllen. Sie behaupten ja, Männer wiederum nein. Aber nicht alle Männer. Es werden sehr ernsthafte, jeglicher Überhebung ledige männliche Stimmen zugunsten von Frauen laut, die dieses Recht und Fähigkeiten zu ihren neuen Unternehmungen zusprechen. Aber ich meine, dass mehr als alle Anschauungen und Vermutungen Fakten und von diesen gewonnene Erfahrungen wiegen.
Die wesentliche Frage in Bezug auf die Frauenbewegung lautet: Welche Beweggründe führen dazu?
Der erste, ursprüngliche Beweggrund ist der natürliche Bildungstrieb. Dieser ist der menschlichen Seele angeboren, sowohl der männlichen als auch der weiblichen, aber nicht jeder und nicht im gleichen Maß. Bei Frauen wurde er durch verschiedene Lebensumstände lange unterdrückt. Aber jetzt ist die Zeit gekommen – auch veränderte Lebensumstände und gesellschaftliche Entwicklung brachten es mit sich –, dass für den Bildungstrieb, für die Bestrebungen um seelische Entwicklung und Geltendmachung eigener Kräfte auch seitens der Frauen die Rechte reklamiert werden. Ob es nicht zu weit geht, ob die schon erweiterten Grenzen nicht überschritten, ob nicht ungerechte und schädliche Sachen verlangt werden, darüber wird leidenschaftlich gestritten, und gerade diese Fragen werden nur aufgrund von deren Ergebnissen gelöst werden können, wenn die Gärung abgeschlossen ist.
Der zweite wesentliche Beweggrund ist eher äußerer Natur, nämlich die täglich wachsende Notwendigkeit von immer mehr Frauen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Und indem sie dies durch ihre eigene, ob körperliche oder intellektuelle Arbeit tun, werden sie eo ipso immer selbstständiger. Und ihre Bemühungen um überdurchschnittliche Bildung werden zusätzlich durch den Umstand angeregt, dass solche nun auch Frauen zugängliche Stellung eine besondere bildungsmäßige Vorbereitung erfordert. So unterstützen beide Beweggründe einander.
Einige betrachten die Frauenfrage ausschließlich als Frage des selbstständigen Lebensunterhalts, jedoch mit Unrecht. Diese ihre Seite sticht ja am meisten ins Auge, sie bildet aber weder Haupt- noch Endziel der Frauenbewegung. Auch wenn die Notwendigkeit des selbständigen Broterwerbs ganz aufhören würde, das heißt, wenn alle Frauen durch Heirat versorgt wären, würde das starke Bildungsbedürfnis unter Frauen weiter bestehen, da sein Endziel keine materielle, sondern eine sittliche Ursache hat. Helene Lange, eine Vorkämpferin der deutschen Frauenbewegung, scheint ins Schwarze getroffen zu haben, wenn sie sagt, dass das Endziel der Frauenbestrebungen sei, „auch im Kulturbereich der Frau gleichen Einfluss zu sichern, den sie in der Familie hat und der dort unentbehrlich und durch niemanden sonst ersetzbar ist, kurz, mütterliche Fürsorge auch im sozialen Leben einzuführen“.
Das klingt solide und zuverlässig, das sollte auch die sittliche Erneuerung der Gesellschaft miteinschließen, was die Hauptsache ist. Bleibt eine Familie, über die eine mütterliche gütige Strenge wacht, sittlich rein, so sollte auch die ganze menschliche Gesellschaft durch Mitwirken von Frauen in öffentlichen Angelegenheiten sittlich erneuert werden. Und die besten, ernsthaftesten Bemühungen der Frauenbewegung zielen gewiss auf die sittliche Erneuerung ab.
Dass sie auf der ganzen Linie und insgesamt darauf abzielten, lässt sich jedoch leider nicht sagen. Auch hier erscheinen neben guten viele schädliche wilde Auswüchse, die dem Stamm schaden. An der guten Sache schmarotzen auch hier eitler Ehrgeiz, ziellose Bravour, konzentrierte Nachahmung von Männern und usw. Und verhängnisvoll ist dabei, dass vorwiegend genau das Gegenteil des oben genannten Ziels angestrebt wird. Nicht umsonst wird über Frauen gesagt, dass sie in keinen Belangen imstande seien, Maß zu halten, aus welchem Grund sie alles kaputt machen würden. Um ihre glänzende „Fortschrittlichkeit“ unter Beweis zu stellen, möchte „moderne Frau“ auch in diesem Fall alles verwerfen, was bis dahin Inhalt des Frauenlebens und Quelle ihres Wohls ausmachte; sie möchte daher mit Leichtigkeit und Bravour die alte Moral fallen lassen und sie mit einer neuen, modernen übertrumpfen, indem die Ehe plötzlich für eine unsittliche, veraltete Einrichtung erklärt wird und die Frauen sich für „freie Liebe“ begeistern. Es wird noch nicht ganz offen gepredigt, aber die Tendenz ist ersichtlich.
Wo die Ehe für eine unsittliche Einrichtung erklärt, die freie Liebe aber als sittliche gilt, dort herrscht eine ziemliche Begriffsverwirrung. Die Ehe, wie sie ihrer Verfassung nach sein soll, ist ohne Frage das sittlichste Band zwischen Mann und Frau, weil sie die unsittliche Zügellosigkeit in Schranken hält und zähmt und das einzige Fundament einer ordentlichen Familie darstellt. Sie Ehe ist nicht deshalb sittlich, weil sie legal ist, sondern sie ist legal, weil sie zur Sittlichkeit führt. Die freie Liebe ist keine neue Idee und was die Sittlichkeit angeht, lassen sich alte und neue Zeugnisse gegen sie anführen. Sie ist nicht deshalb unsittlich, weil sie nicht legal ist, vielmehr ist sie nicht legal, weil sie Menschen ins sittliche Verderben bringt, ihrem zügellosen, unsittlichen Begehren frönt und schließlich die Familie zerstört.
Wenn auch in die Ehe Unsittlichkeit hineintransportiert wird, ist es keine Schuld der Institution Ehe, sondern der Menschen, die die Ehe schließen und dabei nicht die erforderlich sittlichen Bedingungen missachten. Es soll nicht gegen die Ehe als solche geeifert werden, sondern gegen die unwürdige Eheschließung. Gewiss kann auch Ehe, die mit reinen Absichten geschlossen wurde, später aufgrund natürlicher menschlicher Fragilität für eine/n oder beide Partner*innen zu einer schweren, fast unerträglichen Last werden – aber unsittlich ist sie auch dann nicht. Erst dann wird sie zur Schule und Probe der Sittlichkeit. Auch die am besten gelungene Ehe kann ja weder reines Wohl noch stetige Zufriedenheit garantieren – diese sind uns in unserem irdischen Leben gar nicht gegeben, wir können sie weder erzwingen noch durch sittliche List erreichen –, vielmehr verlangt sie auf beiden Seiten eine Menge Selbstüberwindung und Opfer.
Wer sich dem nicht unterziehen will, soll auf die Ehe verzichten, falls er oder sie stark genug ist, auch ohne sie ordentliches Leben zu führen. Denn Frauen fordern auch deswegen selbstständiges Leben, um nicht aus Notwendigkeit, bloß wegen materieller Absicherung Ehe eingehen zu müssen. Und hierin sind sie erfolgreich, warum dann die Ehe anzugreifen? Das heißt wirklich, dass kein Maß gehalten werden kann. Wenn manche neue „Reformatoren“ auf gesellschaftlichem Feld die Institution Ehe ins Visier nehmen, um stattdessen eine Art vervollkommnete freie Liebe zu fordern, entspricht es wenigstens der männlichen Natur, die immer gern das Recht auf Zügellosigkeit dem anderen Geschlecht gegenüber für sich reklamiert; wenn ihnen aber auf ihre Fortschriftlichkeit pochende Frauen dabei Hilfe leisten, bedeutet es nicht nur geistige Verwirrung, sondern auch Kurzsichtigkeit in Bezug auf ihre eigenen Interessen. Öffnete man nämlich der ersehnten freien Liebe in irgendeiner erlaubten Form doch Tor und Tür, würden sich nur Männer Freiheit nehmen und Frauen bliebe nur bittere Leibeigenschaft übrig. Die Natur richtet manche Sachen so ein, dagegen helfen alle Schlagworte über Gleichheit nichts. Die Ehe – und mögen manche sie regulierenden Gesetze Frauen Unrecht tun – ist schließlich doch dafür da, Männer zu zügeln und Frauen zu beschützen, diese können daher Verbesserung der Gesetze verlangen, nicht jedoch durch das Eifern gegen Ehe, denn würde diese untergehen, würde auch die eigentliche Welt von Frau veröden, in der sie regiert, mit der sie durch Leib und Seele verbunden ist: das Familienleben.
Ich glaube aber, dass es nicht viele Frauen gibt, die daran besonders erinnert werden müssten. Und dass es auch solche gibt, geht nicht auf Kosten der seriösen Frauenbewegung, vielmehr verschiedener literarischer Strömungen, die Hals über Kopf das Ideal der „modernen Frau“ oder „der Frau der Zukunft“ in grob naturalistischer Manier entwerfen. Deshalb sollten sich die Repräsentantinnen der seriösen Frauenbestrebungen gegen solchermaßen zweifelhafte Helferinnen deutlich und entschieden verwahren, die bestimmt ihrer Sache nur schädlich ist. Das nicht eingeweihte Publikum kennt sich in verschiedenen Abstufungen und Grad der Radikalität innerhalb der Frauenbewegung nicht aus, die schon dadurch bedingt sind, dass sie aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Völkern stammen (ein jeweils anderes Bild ergeben beispielsweise für Selbstständigkeit von Frauen kämpfende Sozialistinnen, Frauen der Mittelschicht oder vornehme Damen, die „Emanzipation“ eher als Sport betreiben – außerdem unterscheidet sich der Charakter der Frauenfrage in Deutschland vom französischen Feminismus, während dieser in manchem anders als die amerikanische Emanzipation ist usw.), und so geht auf Kosten der „Emanzipation“ praktisch jede Verkehrtheit, die Frauen irgendwo anstellen.
Allerdings steht die Verwirrung der Sittenbegriffe, die oben besprochen wurde, in Verbindung mit einer anderen, noch schwerwiegenderen ungesunden Erscheinung. Es lässt sich kaum übersehen, dass manche gebildeten und von edlen Bestrebungen geleiteten Frauen nicht nur Gleichgültigkeit, sondern aus irgendeiner gebildeten Überhebung sogar Verachtung der Religion gegenüber an den Tag legen. Säkulare Bildung brachte sie um schlichte, belebende und erhebende Frömmigkeit. Sie ereifern sich für edelmütige, philanthropische Bemühungen, aber scheuen sich, sich zum Urheber von Eingebung dazu zu bekennen.
Auch das ist sicherlich auf die neuen Strömungen in Philosophie, Literatur und Kunst zurückzuführen, die bemüht sind all das Höhe herabzusetzen, wodurch die Religion den Menschen aus niederer Natur emporhebt. Gott bewahre, in der Seele Christus zu tragen und sich mit Hingabe vor aller Welt zu ihm zu bekennen – das sei doch archaische und kindische Naivität, durch die man sich verriete, dass man nicht auf der Höhe des Fortschrittes stehe. Wenn aber Menschen für ihre häufig dürftige oder gar zweifelhafte Verdienste angebeten werden, bestenfalls weil sie nach Möglichkeiten ihre Pflichten erfüllten, mit edlen Worten vor ihnen sozusagen niederzuknien, solche hässlichen, ungesunden Erscheinungen müssen einen jeden gesund empfindenden Menschen konsternieren. Es handelt sich keineswegs um eine gerechte Würdigung der Verdienste, die notwendig und immer am Platz ist Zeit und Zustimmung findet, vielmehr um eine Menge Unehrlichkeit und Heuchelei, eine Art Zwangsextase – und oft mediokre Anbetung seiner selbst. Wir schämen uns, Gott anzuflehen, deshalb verfallen wir in die Anflehung der Menschen und uns selbst. Angesichts eines solchen Stands in Sachen Religion kann solche verkehre Auffassung von Sittlichkeit kaum überraschen. Die von Christus gepredigte Sittlichkeit verwirft der moderne Mensch als veraltet und lässt sich eine neue, bequemere Sittlichkeit von Menschen diktieren, die sich dazu groß berufen fühlen. Aber mit dieser Sittlichkeit kommt er auch nicht sehr weit. Sittlich ist und bleibt für alle Zeiten nur diejenige Sittlichkeit, die von Gottes Wahrheit hervorgeht und die zu erkennen Christus uns gelehrt hat und lehrt. Kein Philosoph oder Dichter vermag statt ihrer eine neue, für uns nützlichere zu inaugurieren. Und wenn Frauen sie samt der Religion verwerfen wollten, tun sie es zu ihrem eigenen Schaden – sie verschütteten die lebenspendende Quelle ihrer eigenen höheren Gefühlswelt. Wollten sie jedoch auch danach aus dieser Quelle schöpfen, aber deren Namen aus Judenangst und Überheblichkeit verleugnen, das heißt wollten sie weiterhin Selbstverleugnungstaten tun, wie es Christus gepredigt und in sich selbst zum klaren, ewigen Beispiel und Vorbild für Menschen bestätigt hatte, und sie anstatt sich zu Ihm zu bekennen lieber im Namen des Humanismus oder anderer -ismen tun, wäre das ein feiger Verrat am höchsten Wohltäters, der in seiner heiligen Liebe als erster die Sklavenfessel der Frau brach und ihre Seele befreite, damit sie sich ihrem ehrwürdigen göttlichen Ursprung gemäß entwickeln konnte.
Maróthy-Šoltésová, Elena: O ženskej otázke. In: Dennica, 5., 1902, Nr. 4.