Emanzipation & Revolution

Margit Slachta als erste Abgeordnete übernimmt ihr Mandat

  • Publikationsdaten: Ort: Budapest | Jahr: 1920
  • Entstehungsjahr: 1920
  • Originalsprachen: Ungarisch
  • Verfügbarkeit: Ungarisches Filmarchiv

Kommentar:

Die 2020 aufgefundene Filmrolle vergegenwärtigt den Moment der feierlichen Übergabe des Mandats von Margit Slachta am 28. März 1920, der einen Meilenstein in der Geschichte der ungarischen Frauenbewegung markiert. Nach dem Sturz der Proletardiktatur 1919 fanden in Ungarn im Januar 1920 Landtagswahlen statt. Im ersten Bezirk von Budapest kam es im März zu Nachwahlen, bei denen nach einem heftigen politischen Kampf die Kandidatin der Partei der Christlichen Nationalen Vereinigung (Keresztény Nemzeti Egyesülés Pártja), Margit Slachta, einen historischen Sieg errang. Ihr Triumph und die Einführung eines beschränkten Wahlrechts für Frauen in Ungarn 1919 ist vergleichbar mit dem Einzug von acht Frauen (darunter Adelheid Propp) in die österreichischen Nationalversammlung 1919. 

Margit Slachta (1884-1974) war vom Beruf Lehrerin, aber von 1908 an widmete sie ihr Leben der Sozialarbeit und wurde zum Mitglied der Sozialen Missionsgesellschaft (Szociális Missziótársulat), einer christlichen weiblichen Wohltätigkeitsorganisation, die Kindertagesstätten, Suppenküchen und Waisenhäuser betrieb. Als Mitglied dieses Ordens (dessen offizielle Kleidung und Kreuz Slachta auch bei der Feier trug) trat sie als Aktivistin der Frauenemanzipation auf und nannte sich selbst als eine christliche Feministin. Auch in der Nationalversammlung setzte sie sich entschlossen für Frauenrechte und den sozialen Fortschritt ein, indem sie die Förderung der Kinder, Familien, Arbeiterfrauen und Bedürftigen mit Gesetzesmitteln befürwortete. Sie hielt die aktive Beteiligung der Frauen an der Politik sowie das weibliche soziale Engagement an der Lösung gesellschaftlicher Probleme (Elend, Wohnungs- und Rentenkrise) für unerlässlich und gründete aus diesem Grund 1923 die Gesellschaft der Sozialen Schwestern (Szociális Testvérek Társasága). Ab den 1930er Jahren protestierte Schlachta entschlossen gegen faschistische und antisemitistische Strömungen und rettete 1944 mit ihren Ordnungsschwestern ca. 900-1000 ungarische Juden vor Deportationen. Aufgrund ihrer Prinzipientreue, ehrlichen und mutigen Haltung wurde sie als „einziger Mann in der Nationalversammlung“ bezeichnet, denn 1948 protestierte sie in der Nationalversammlung gegen kommunistische Machtüberschreitungen und die Verstaatlichung kirchlicher Schulen, wofür sie für ein Jahr von Parlamentssitzungen ausgeschlossen wurde.

 

verfasst von Luca Nagy (Szeged)