Die Kommunistenzeit in Vép
- Autor*in: Helene Erdödy
- Publikationsdaten: Ort: Zürich, Wien, Leipzig |
- Entstehungsjahr: 1929
- Originalsprachen: Deutsch
- Gattung: Tagebuch
Übersetzung
Gräfin Helene Erdődy: Die Kommunistenzeit in Vép
Der 25. März 1919! – In der Schloßkapelle fand wie alle Jahre die Aussetzung des Allerheiligsten statt. Nach dem Essen hörten wir aus der Richtung Steinamanger das Rumpeln eines Lastautos, und schon kommt es gepfropft voll Soldaten beim Gartentore herein und über die Brücke auf das Schloß zu. Noch im Fahren springt die Mannschaft ab, lädt, neben dem Lastwagen herlaufend, die Gewehre und steckt das Bajonett auf. Straßenmob, Kinder und Radfahrer fluten nach — eine bunte Mauer von Gaffern um das seltsame Bild. Ein Zivilist, der ein Stöckchen in der Hand hält, ist der Führer des Unternehmens. Es gilt, Militärflinten, Maschinengewehre, Munition und den entflohenen Abgeordneten Lingauer bei uns zu entdecken. Schon sendet der Herr in Zivil Patrouillen nach allen Seiten aus, wie zum Gefecht, dann kommt er mit einigen Offizieren und zwei bis an die Zähne bewaffneten „Rotgardisten“ ins Speisezimmer herauf. Er stellt sich vor: „Nagy Mihaly, Emissär des Steinamangerer Direktoriums!“ Aber nicht nur für Waffen interessiert er sich, auch Kasse und Buchführung will er kontrollieren. Er hat in Erfahrung gebracht, daß kürzlich 100.000 Kronen aufgenommen worden waren. Die möchte er gerne einsacken!
Er untersucht und durchwühlt zwei Wertheimerkassen. Aus der ersten beschlagnahmt er 10.000 Kronen, aus der zweiten noch weniger. Er ist sehr ärgerlich: wo kann nur das ganze schöne Geld sein? – 0, wenn er es geahnt hätte, daß es sich in einer Lade gerade jenes Schreibtisches befand, auf dem er die ganze Zeit herummanipulierte!
Dann noch gründliche Hausdurchsuchung! Sieben Patrouillen zu je zwei Mann durchstöbern alle Räume, Kasten und Schubladen auf das genaueste, während die Hausgänge abgesperrt und von Posten bewacht sind. Endlich treffen nach vergeblichem Hin- und Hersuchen alle ausgesandten Helden zufällig im Kinderzimmer zusammen, wo das allerjüngste Töchterchen des Hauses gerade einer Tätigkeit obliegt, bei der Anwesende nicht erwünscht sind. Die Wirkung dieses plötzlichen militärischen Einbruches soll eine brisante gewesen sein! – Schließlich empfahl sich der Herr Emissär, recht unzufrieden zwar, doch unter höflichen Entschuldigungen — in Ungarn ist alles höflich, sogar die Bolschewiken! – und bald ist der ganze Spuk verschwunden, wie ein böser Traum. — Das war unsere erste Bekanntschaft mit der vielgerühmten roten „Freiheit“!
Zwei Tage später telephoniert uns der herrschaftliche Advokat aus Steinamanger, daß „Gäste kämen, und nachmittags treffen bereits per Auto Herr Kovács, Mit glied des Direktoriums, und Dr. Geyringer, Volksbeauftragter, hier ein. In ihrer Gefolgschaft befinden sich Notär, Ortsrichter (Bürgermeister) und „Rote Gardisten“. Kovács betritt den Salon mit den Worten: „Herr Erdődy, im Namen des Volksbeauftragten für Unterricht beschlagnahme ich alle Kunstschätze des 220 Schlosses, das jedoch noch vorderhand in Ihren Händen verbleibt.“ — Mein Sohn Sándor, gegen den großen Salon weisend: „Bitte!“ – Dieser Saal mit seiner reichen Bildersammlung sowie das Familienarchiv wurden sofort versperrt und versiegelt. Die Schlüssel nahm der Volksbeauftragte an sich. Um das Speisezimmer, das nebst wertvollem antiken Mobiliar auch die ganze Ahnengalerie enthält, wurde noch „gehandelt“. Hier befindet sich nämlich der alleinige Zugang zum Oratorium der Schloßkapelle. Auf den Einwurf Sándors hin, die einzige Freude seiner 86jährigen Mutter bilde es, auf dem Oratorium im Gebet zu verweilen, erfolgte die echt „demokratische“ Antwort des Gleichheitsapostels: andere Leute besäßen auch alte Mütter, die mangels eines Privatoratoriums auf ihrem Zimmer beten müßten, ergo — — —! Trotzdem gelang es schließlich, das Speisezimmer freizubehalten. Dafür wurden aber zwei Ausgänge ins Freie — durch Gartensalon und Glashaus – versperrt und versiegelt, und nur das große Tor offengelassen, vor das man aber einen Rotgardisten als ständige Schildwache postierte, um uns das Verschleppen von Kunstwerten unmöglich zu machen. Ein Posten von sechs Mann, fürchterliches Gesindel, wurde uns zu diesem Behuf ins Schloß gelegt.
Jede Ortsgemeinde hatte ihr Direktorium, bestehend aus drei Mitgliedern, zu wählen. Auch Vép erhielt ein solches.
Am 29. März rückte wieder Rote Garde bei uns ein, sechs Mann hoch, ein Soldat, ein Matrose und vier Arbeiter. Am 30. erschien ein Beamter niederen Ranges und „kommunisierte unseren Obst- und Gemüsegarten „zum allgemeinen Besten“.
Doch die Steinamangerer Herren schienen uns noch immer nicht recht zu trauen, denn am 2. April tauchte plötzlich ein Detektiv namens Szigyarto in Begleitung eines krummen und gleichfalls nicht gerade kernmagyarischen Monsieurs auf, die im Dorfe bei einigen Bauern Nachforschungen nach von uns verschleppten Kunst schätzen anstellten und dann abermals unsere Kassen revidierten. — Alles natürlich ohne Erfolg!
Aber auch das Volk, insbesondere die landwirtschaftlichen Arbeiter, schien es mit einem Male erfaßt zu haben. Plötzlich kam eine Deputation von 20 bis 25 Meierhofsknechten unter Führung eines herrschaftlichen Maschinisten ins Schloß, und dieser als ihr Wortführer begann: „Hochgeborener Herr Graf …“. Da klopfte ihm der also Apostrophierte auf die Schulter: „Lieber Freund, warum nennen Sie mich „Graf“? Das gibt’s doch nicht mehr!“ – Einen Moment stutzte der Redner, dann entgegnete er geistesgegenwärtig: „Ich habe noch keine offizielle Verständigung über die Abschaffung des Adels erhalten!“ – Aber mit der Fassung war es dahin. Es wurde nur mehr verlegen herumgestottert, man wolle ja keinen Grund und Boden, sondern nur die Entlassung eines unbeliebten Aufsehers und Ähnliches, und bald zog man still von dannen.
Um diese Zeit erfuhren wir auch, daß unser Bischof und Freund, Graf Mikes, von Kis-Czell nach Pest ins Sammelgefängnis geschafft worden war. Noch unter der Ägide Károlyis hatte man ihn seiner Seelsorge entzogen und in einem Czeller Kloster interniert, wo er von Gendarmen unter einem Offizier, Soldaten und Detektivs bewacht gewesen. Ja sogar ein Maschinengewehr stand vor dem Haus!
Unsere jetzigen rotgardistischen Behüter benahmen sich so halbwegs anständig. Wir mußten sie mit 25 Kronen pro Kopf täglich besolden und verköstigen. Wie in allen „wahrhaft freien“ Ländern bestand auch hier vollkommenes Alkoholverbot. Und doch waren unsere Hüter stets betrunken!
Man lebte unter einem drückenden, angstvollen „Was wird morgen sein?“ dahin. Man fragte sich beständig: „Wird man uns von Hab und Gut vertreiben, gefangen setzen, töten?“ Alles schien möglich und in Rußland schon dagewesen. Die Stimmung der Bauern und eines Teiles der Arbeiterschaft aber wurde eine höchst ungünstige für die roten Tyrannen. So oft die Autos ihrer Kommissionen Schloß und Park verließen, flogen sowohl seitens unserer Dienerschaft als auch der ein heimischen Bevölkerung die saftigsten Schimpfworte um die Ohren der neuen Gebieter. Als uns einst wieder so ein roter Kraftwagen verließ, leistete sich sein Motor einige laute, schußartige Detonationen. Die um unser Los besorgte brave Dorfbevölkerung, die wohl glauben mochte, daß auf uns geschossen worden sei, eilte sofort samt der Gendarmerie zur Hilfe herbei.
Auch hier dachte man einmal allen Ernstes daran, das Weite zu suchen. Marie Draskovich war gerade in Begleitung eines Güssinger Gutsbeamten herübergekommen. Dieser wußte zu berichten, daß die Österreicher demnächst die Pinkaflußlinie besetzen würden, und riet uns dringend, nach Güssing zu übersiedeln, da dieser Ort an Österreich fallen dürfte. Aber meine strikte Weigerung, Vép zu verlassen, trug viel dazu bei, daß diese Idee nicht zur Ausführung kam. Später wurde uns durch Spione und Schildwachen ohnehin jedes Entweichen unmöglich gemacht. – Die rotgardistischen Schloßwächter waren nach und nach ganz unter unseren Pantoffel geraten. Sie bestrebten sich sogar, uns jedwede noch so geringe Belästigung fernzuhalten, und vertrieben auch energisch alles Bettelvolk, selbst unsere treuesten Stammgäste. Einen Zigeunerjungen, der mit sehr schmutzigen Füßen begabt gewesen, schleppten sie mit dem Bemerken, ein Proletarier müsse rein sein, zum Brunnen, wo er sich waschen und die gewiß schon jahreаlte Kruste mit einem Ziegelstein abkratzen mußte.
Am 14. April kamen plötzlich zwei Kompagnien rotes Militär – zirka 140 Mann stark – angerückt, um Frucht, ärarische Ausrüstungen und andere Gegenstände zu „requirieren“. Um 10 Uhr vormittags marschierten sie sehr zeremoniell in vier Kolonnen im Schloßhof auf, den sie ganz ausfüllten. Sie wollten sich gleich bei uns einquartieren, und da sie ein wildes, aufrührerisches Gesindel zu sein schienen, besorgten wir das Schlimmste. Einige dieser Kavaliere waren schon in eine ebenerdige Garderobe eingedrungen und probierten bereits dort hängende Mäntel und Wetterkragen als willkommene Beute. Nur mit Mühe gelang es schließlich unserer Wackeren Gendarmerie und besonnenen Elementen, das ganze Pack aus Schloß und Hof hinauszumanövrieren.
Die Erbitterung gegen das herrschende Gewaltregime nahm in der landsässigen Bevölkerung von Tag zu Tag zu, so daß wir schon damals auf Befreiung aus dieser merkwürdigen „Freiheit“ zu hoffen wagten. Aber es sollte noch bunter, noch angenehmer kommen, als es ohnehin schon gewesen!
Am 24. April nachmittags erschien bei uns wieder einmal eine Kommission, bestehend aus einem Doktor medicinae, einer jungen Ärztin, beide sichtlich nicht magyarischer Herkunft, und einem Mitglied des Véper Direktoriums. Ihre Aufgabe bestand darin, das Schloß in ein Heim für Proletarierkinder umzuwandeln. Lachend und plaudernd marschierten die Herrschaften von Zimmer zu Zimmer und dekretierten dabei: „Hier werden vier Kinder wohnen … hier zwei … dort sechs …“ Auf unsere bescheidene Einwendung hin, daß wir ja auch für unsere zahlreiche Familie Räume benötigen würden, wurde prompt erwidert: „Das Schloß geht ja ohnehin in Volkseigentum über. Man wird Ihnen schon eine Hütte im Dorfe zuweisen. Die Hauptsache ist, daß man ein Dach über dem Kopfe hat!“ Bald darauf empfahlen sich die Herrschaften und ließen uns in nicht gerade rosigster Stimmung zurück.
Unter solchen Umständen und bei einer derartigen Gesinnung der damals regierenden Klasse ist es kein Wunder, wenn jeder von seiner Habe das zu retten suchte, was noch zu retten war. So hatten wir keineswegs das Verlangen, die Damen Kun oder Samuely in unserem wertvollen Majoratsschmuck prangen zu sehen, und darum schon einen Teil desselben nach Wien hin überschmuggeln lassen. Ein großer Flügel aus Brillanten machte zum Beispiel seine Reise über die Grenze in einem gigantischen Schinkenbrot mit, um dann für einige Monate in den Tiefen eines Wiener Portiersofas zu verschwinden. Etwas war auch in einer Steinamangerer Bank allen Fährlichkeiten preisgegeben. Der größte Teil aber befand sich noch im Hause! Den galt es nun zu retten. Er wurde in ein Kistchen verpackt, in das ans Schloß angebaute Glashaus hinab. gelassen. Dann schritt man zum Tore hinaus an der Schildwache vorbei, als ob nichts geplant wäre, trug das wertvolle Kistchen in die Fasanerie am Ende des Parkes und begrub es dort an einer steinigen Lehne zwischen zwei Bäumen mit schon vorher dorthin geschafften Geräten. – Ruhe sanft bis in bessere Zeiten!
Der 1. Mai wurde damals in Vép, den roten Intentionen gemäß, ungemein feierlich begangen. Vorerst Tagreveille! Dann großes „rotes Hochamt in Gegen wart des Direktoriums in der Ortskirche, hierauf Zug der ganzen Bevölkerung über die Brücke, am Schloß vorbei, durch den Park in die Reitschule, 500 bis 800 Personen! War es Drohung oder Huldigung? Wer wußte das damals! – Uns selbst hatte man, o Schmach, gezwungen, eine rote Fahne auf dem Turme zu hissen, damit alle zur Reitschule Pilgernden sie wehen sähen! Unser stets betrunkener „Vertrauensmann“, Vorarbeiter Vamper, hielt dortselbst eine ebenso gröhlende als elende Rede. Nachmittags gab es Tanz, doch voll kommen ohne Animo: kaum 50 recht mindere Tanz paare, während Zigeunerjungen auf einem hohen Mai baum ihre Kletterkünste produzierten.
Sechs Tage später marschierte unsere Rote Garde ab. Wir hatten uns ganz leidlich mit ihnen vertragen, nur in der Küche setzte es hin und wieder Krawalle, da diese Herrschaften nahezu unersättlich waren. Und erst der Wein, der ewige Wein! Mit vieler Mühe hatten sie sich in Steinamanger eine Anweisung auf dieses verbotene Getränk erkämpft. Jetzt zogen sie aus, sich ein Faß in Eberau zu „requirieren“, um schließlich zwar nur mehr mit einem halben Fasse, dafür aber etlichen ganzen Räuschen heimzukehren. Nun hatten wir damals in der Kanzlei einen ebenso dicken als uncouragierten Beamten beschäftigt. Mit dem beschlossen sie sich ein „Späßchen“ zu gestatten: als ihr projektiertes Opfer gerade das Tor passierte, setzte ihm der Posten das Bajonett auf die Brust: „Halt! – Verdacht! – Leibesvisitation!“ – Der Angstschlotternde wurde hierauf vor das Haus geschleppt und dort im Nu in einen Adamiten verwandelt, was unter großer Heiterkeit, jedoch nicht seinerseits, vor sich ging.
Auch mit einem Franziskanerpater, der milde Gaben einzusammeln gekommen war, gab es einen Rummel. Der Unglückliche hatte nämlich mit den Herren Rotgardisten etwas politisiert und sich dabei nicht sehr liebenswürdig über die Sowjetrepublik ausgedrückt. Man verhaftete ihn sofort und übergab ihn der Gendarmerie „zur Amtshandlung“. Ein mitleidiges Mitglied des Véper Direktoriums rettete ihn aber dadurch, daß es ihn für närrisch erklärte, worauf man ihn denn in Gottesnamen laufen ließ.
In den Schulen war übrigens schon längst der Religionsunterricht abgeschafft worden, und fast alle Ordensgeistlichen gingen, um sich nicht unnützen Ge fahren auszusetzen, „in Zivil“.
Am 9. Mai nach zweitägiger Sedisvakanz kamen wiederum sechs neue Rotgardisten zu unserer Bewachung angerückt, aber schon weit bessere Elemente als vor her, die dem Gendarmeriepostenführer als Kommandanten unterstellt waren. — In Steinamanger hatten damals große Demonstrationen zu Ehren der Franziskaner und anderen Ordensgeistlichen stattgefunden, deren Ausweisung seitens des dortigen Direktoriums verfügt worden war. Dies machte natürlich Eindruck auf die eher feigen Herren Tyrannen, so daß sie sofort ihr Verbannungsurteil kassierten, bald darauf aber Stadt und Umgebung als „Kriegsgebiet“ erklären ließen! Nun erschienen des öfteren Flugzeuge über dem Schlosse, die jedesmal große Aufregung hervorriefen, da man in ihnen Helfer aus Ententearmeen erhoffte.
Damals erhielten wir auch das erste Lebenszeichen von unserem in Pest eingekerkerten Bischof, tröstende Zeilen, die er uns unter einem Pseudonym schrieb. — Zur selben Zeit traf aber aus Somlóvár die weniger erfreuliche Nachricht ein, der Bruder Tibor Samuelys, des berüchtigten Bluthundes der Kommune, sei dort gewesen, habe das ganze Schloß von oberst zu unterst gekehrt und schließlich einige wertvolle Sachen, dar unter einen Samovar, mitgehen lassen, den letzteren speziell für Béla Kun höchstpersönlich, „da ihm seit Rußland ein solcher Gegenstand sehr abgehe!“
Immer mehr und mehr Flüchtlinge kamen durch Steinamanger und wurden dort mit wallenden Vollbärten und in allen möglichen Verkleidungen angetroffen. Restaurateur Posch schmuggelte sie in das Land ihrer Hoffnungen hinüber und berichtete dann des öfteren stolz: „Gestern hab‘ ich wieder einen Fürsten, zwei Grafen und eine Exzellenz über die Grenze geschoben!“ – Wie immer in solchen Emigrationszeiten ereigneten sich auch jetzt manchmal recht komische Dinge: So war es z. B. Fürstin 0. durch die Gutherzigkeit eines Handlungsreisenden, namens Rosen zweig, gelungen, aus Pest zu entkommen. Er bezeichnete sie als seine Mutter, und sie nannte ihn „Sohn“. Da ereignete sich es nun an der Grenze, daß sie übernachten mußten. Sie sprachen das dortige Ortsdirektorium um zwei Zimmer an, ein Vorgang, der damals vorgeschrieben und nötig gewesen, weil im Lande der „unbegrenzten Freiheit“ sogar das freihändige Zimmer vermieten verboten war! Das Direktorium aber fand ein Zimmer vollständig genug für „Mutter“ und „Sohn“, und so mußten sich eben die beiden einander wild fremden Leutchen behelfen, wie es nur möglich war.
Der wirkliche Sohn der Fürstin aber schmachtete, im Verdachte, Wertgegenstände verschleppt zu haben, inzwischen im Budapester Sammelgefängnis. Er hat später sehr interessant über seine dortigen Erlebnisse zu erzählen gewußt. Man war dort ohne Trennung der Geschlechter in einem großen Raume zusammengepfercht. Wollte man schlafen, so mußte man sich auf den Boden legen. Bessersituierte hatten Decken zur Verfügung, andere wieder nicht. Kost bekam man keine. Alle Tage gegen zwei Uhr nachmittags und wiederum des Abends wurde man von Rotgardisten in ein Gasthaus getrieben, wo man sich auf eigene Rechnung zu verköstigen hatte. Nun war auch ein armes Dienstmädchen, das wohl das Verbrechen begangen hatte, mehr zu seiner Dienstherrschaft als zu den Herren Tyrannen zu halten, unter ihnen, das keinen Kreuzer Geld besaß. Diese Unglückliche wäre unfehlbar verhungert, wenn nicht die übrigen Gefangenen von Fall zu Fall zusammen gesteuert und ihr alle Mahlzeiten bezahlt hätten.
Am 21. Mai traf Béla Kun in Steinamanger ein und ließ dort sein Rednertalent leuchten. Er gab sich immer nur als der sanfte, brave und begeisterte Theoretiker, der es nicht sah und hörte, wie sein Henker Samuely die Gegner aufknüpfen oder erschießen ließ. Diese Rolle hatte er sich recht klug erwählt, und es gibt noch immer dumme Leute, die ihn für ein weißes Lämmchen halten. Samuely war viel aufrichtiger. Plündernd und mordend fuhr er durch die Lande dahin, ein sadistischer Degenerat von der Wildheit eines Raubtieres. Die schrecklichsten Dinge wurden von ihm erzählt. So hätte er einmal in Westungarn einen Lehrer, sechsfachen Familienvater, wegen „staatsfeindlicher Gesinnung“ hängen lassen wollen. Da trat der greise katholische Pfarrer vor und bat ihn, den Alleinstehenden, statt des Lehrers zu richten. „Gut!“ rief Samuely, „Ihre Bitte sei gewährt!“ Und bald darauf hing der alte Priester, der sich es wohl kaum so vorgestellt haben dürfte, am Galgen, während der Lehrer freiging! – Und da gab es noch kluge Leute in Österreich, dem Lande der großen Politiker, welche anläßlich der Übergabe der Herrschaft in Ungarn an die Bolschewiken behaupteten, das sei ein besonders feiner Schachzug Károlyis gewesen, um die Entente wegen des bösen Friedensvertrages zu treffen!
Die Requisitionen wurden immer drückender und lästiger. Jetzt suchte man wieder einmal, und zwar nach Kleidern und Wäsche. Wir versteckten natürlich, was nur zu verstecken war, und die anderen Leute machten es geradeso. Aber die Erbitterung auf dem Lande stieg und stieg. Alle Augenblicke spielten sich irgendwo Vorgänge wie der nachstehend geschilderte ab: ein Dorfinsasse wird wegen Beschimpfung der Republik verhaftet und in die Stadt eskortiert. Ein paar Stunden später ist schon der ganze Ort in Steinamanger und krawalliert dort, was Platz hat. Entweder wird die Ein schüchterung der feigen „Behörde“ erreicht und der
Arrestant im Triumphe heimgeführt, oder es kommt, wenn gerade die „Leninbuben“, das Elitekorps der Roten, vorhanden sind, zu Schießerei und Blutvergießen. Bald ging’s auch in den Dörfern an der Gyöngyes los: Kommissionen wurden verprügelt, begeisterte Enthusiasten mit Gewehren und weißen Fahnen, aber. ohne Ordnung, gingen gegen die Bolschewiken los; doch diese bringen auf Lastautos Verstärkungen herbei und bald knallt es an allen Ecken und Enden wie auf einem Kriegsschauplatze. Natürlich wurden schließlich die „Weißen“ zerstreut, weil sie schlechter armiert und ohne Führung waren. Aber der Haß, der wuchs, gottlob!
Ein uns wohlgesinnter Proletarier riet uns dringend, ja keinen Verkehr mit den Aufständischen zu pflegen. Aber auch ein anscheinend wohlwollendes Mitglied des Steinamangerer Direktoriums ließ uns auf Umwegen warnen: man sei dortamts schon auf uns aufmerksam geworden, da wir anscheinend mit ausländischen Vera wandten konspirierten und außerdem häufig mit Nachbarn zusammenträfen, bei denen sich ein General unter falschem Namen verberge.
Am 27. Mai erhielten wir sogar die erfreuliche, aber leider falsche Nachricht, daß unsere Befreier“ amtsmüde seien und sich nach Übergabe der Gewalt an ein rein sozialistisches Ministerium in den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen möchten. Etwas Authentisches war aber nirgends zu erfahren. Zeitungen gab‘s ja keine mehr. Die allzu üppige „Freiheit“ hatte ja bereits glücklich die ganze Presse erschlagen! Hin und wieder verirrten sich Wiener, ja selbst Pariser Blätter zu uns, doch nur einzelne Nummern, aus denen auch nicht viel zu entnehmen war.
Zwei Tage später, abends nach der Maiandacht, hörte man plötzlich heftiges Gewehrfeuer aus einer zirka vier Kilometer Luftlinie entfernten Ortschaft. Auch Maschinengewehre wurden vernehmbar. Es schien eine große Schlacht im Gange zu sein. Dann und wann flaute es ab, dann belehte es sich wieder, und der Kampf schwoll zu größter Heftigkeit an. Plötzlich eine gewaltige Handgranatenexplosion und dann – Schluß! – Was war geschehen? – Am nächsten Tage erzählten uns Augenzeugen folgendes: Um ½ 8 Uhr begann‘s. Die Véper Mannschaft rückte aus mit Trommeln und Trompeten und ungemein kampflustig. In einem Gebüsch vor dem Dorfe war ein Maschinengewehr eingenistet und schoß nach allen Seiten. Ein Herankommen war nicht möglich. Im Dorfe selbst tobte eine wilde Schlacht von Haus zu Haus, von Weg zu Weg. Es gab schon mehrere Tote und Verwundete. Langsam zogen sich wieder unsere Véper nach Hause zurück. Auch andere zum Sukkurs herbeigeeilte Bauern, meist Unbewaffnete, machten sich aus dem Staube. Und schließlich rückte auch die ganze rote Mannschaft in der Richtung nach Steinamanger ab.
Nun begannen aber die Gegenrepressalien der Regierung! Massenhafte Verhaftungen in den rebellierenden Dörfern und die Einlieferung der Aufgegriffenen in das städtische Gefängnis setzten ein. Nur der Intervention und beständigen Fürsprache meines Neffen, des Grafen Stefan Ambróczy, bei den maßgebenden Faktoren gelang es, die projektierten Massenhinrichtungen zu verhindern. Doch auch noch auf andere Weise arbeitete der Terror: am Vormittag nach oben geschilderter Schlacht, bei strahlend schönem Wetter, erschien plötzlich ein Aeroplan über dem Schlosse, ließ sich ziemlich nieder über Dorf Vép herab und warf eine Bombe aus, die mit ungeheurem Getöse explodierte, und zwar keinen Schaden, jedoch große Angst hervorrief.
Am 2. Juni standen alle Züge. Ein Streik der sehr antibolschewikisch gesinnten Eisenbahner war ausgebrochen. Doch bald hatten die Roten denselben überwunden, und nun erschien als Racheengel der Bluthund Tibor Samuely in Steinamanger. Jetzt begannen zahlreiche Einkerkerungen, und auch István (Stefan) Ambróczy wurde verhaftet und dem Gewaltigen vorgeführt, dem er jedoch durch sein freimütiges Auf treten so imponierte, daß Samuely, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, den Auftrag gab, István zwar weiter in Haft zu behalten, ihm aber kein Haar zu krümmen. Dann reiste dieser Schrecken aller anständigen Menschen nach Westungarn weiter, wo er unterwegs in Güns zwei vollkommen Unschuldige, einen Offizier und einen Bauern, aufknüpfen ließ. In Csorna, wohin er sich dann weiterbegab, fanden 22 Hinrichtungen antirevolutionärer Elemente statt.
Am 6. Juni um ½ 6 Uhr abends hielt ein sehr schäbiger Fiaker vor dem Schlosse an. Ihm entstiegen zwei Arbeiter, die längere Zeit mit unseren Rotgardisten konferierten. Dann wurde ein Wagen im Stalle bestellt. Ich weiß nicht, warum uns dies alles so unheimlich schien und wie mit einer bösen Ahnung erfüllte! Und diese sollte uns auch nicht trügen! – Die beiden Ankömmlinge verlangten den Schloßherrn zu sprechen, und bald darauf erfüllte die Schreckenskunde das Haus, daß sie Sándor als Geisel verhaftet hätten und ins Steinamangerer Gefängnis abführen wollten. Zu unserem großen Troste erbot sich der Gendarmeriepostenführer, der plötzlich auch im Schlosse erschienen war, den Verhafteten selbst mit dem herrschaftlichen Wagen nach Steinamanger zu bringen. Die beiden Arbeiter sollten nur in ihrer Karre nachkommen. Glücklicherweise gingen sie auf diesen Vorschlag ein.
So rollte denn zuerst unsere Equipage, begleitet von unseren Tränen und Segenswünschen, und dann der Fiaker aus dem Tore. Doch dieser blieb weit und weiter hinter Sándors Wagen zurück, so daß sich die beiden Gefährte bald ganz aus dem Gesicht verloren. Da machte der Gendarmeriepostenführer meinem Sohne einen Vorschlag, der für die hohe Anständigkeit und Loyalität dieses Beamten zeugte: er riet, den großen Vorsprung zu benützen, durch Steinamanger rasch durchzufahren und zu trachten, die Grenze zu gewinnen, dann wären sie beide gerettet. Im Falle des Erwischtwerdens freilich dürfte es ihnen wohl an den Hals gehen. Doch Sándor weigerte sich, den edlen Mann in solche Gefahr zu führen, und bat nur, auf dem Wege ins Gefängnis bei seinem Advokaten anhalten zu dürfen, um mit ihm den bösen Fall besprechen und dessen Hilfe erbitten zu können. Doch sie erfuhren zu ihrem Schrecken, daß auch Dr. Grimm bereits verhaftet und abgeführt worden war. So fuhren sie denn zum Komitatshause weiter, wo sie noch immer eine beträchtliche Zeit vor den beiden Arbeitern anlangten. Dort gab’s, wohl um den Steinamangerern Furcht und Entsetzen einzujagen, „Leninbuben“ in Hülle und Fülle, meist entsprungene Zuchthäusler mit den verdächtigsten Visagen, doch alle sehr nett und proper adjustiert — Breeches, Wickelgamaschen, tadellose Lederjacken, auf den Mützen den Sowjetstern und bis an die Zähne bewaffnet: Bajonettgewehre, Revolver, die obligaten Handgranaten im Gür tel. Vor dem Hause aber standen Maschinengewehre, ja selbst, wenn ich mich nicht irre, eine kleine Kanone, alles, die anständigen Leute durch Terror gefügig zu machen, was auch so ziemlich erreicht wurde. Dort führte man Sándor sofort in den Sitzungssaal, wo er bereits dreißig mehr oder weniger bekannte Herren antraf, die gleich ihm als Geisel gefangengesetzt worden waren. Da gab es Advokaten, Richter, höhere Be amte von Staat, Komitat und Bahn, auch den entthronten Bürgermeister der Stadt und andere Honoratioren, meist schon ältere Leute. Diese Unglücklichen waren vom Seminar, wo sie früher interniert gewesen, durch die rohen Verbrechersoldaten mit Ohrfeigen, Fußtritten, Kolbenstößen und unter wüsten Beschimpfungen hieher getrieben worden. Mitten im Raume weilten zur Aufsicht zwei bewaffnete „Leninbuben“, an den Türen abermals je zwei. So fürchtete sich die abenteuerlich feige Revolutionsregierung vor einer eventuellen Konterrevolution dieser paar wehrlosen, gefangenen Greise! Schlechtes Gewissen ist eben ein miserables Ruhekissen! Aber auch für gute Gewissen waren hier leider gar keine Schlafgelegenheiten vorhanden! Für die Verköstigung unseres Gefangenen hatten wir schon Fürsorge getroffen. Zum Schlafen mußte er sich aber mit den mitgebrachten Decken auf sechs Stühlen eine nicht sehr bequeme Ruhe-, oder besser gesagt, Unruhestätte bereiten. Auch seine übrigen Leidensgefährten hatten sich ähnlich zu versorgen, und es soll köstlich, zugleich aber auch rührend gewesen sein, zu beobachten, was da an Schlummermützchen, Häubchen, Leibchen, Röckchen und Fräckchen – alles von liebenden Händen überbracht – zum Vorschein kam.
Uns war es ein entsetzlicher Augenblick, als der Gendarmeriepostenkommandant allein nach Vép zurückkehrte. Er flüsterte uns zwar das tröstende Wort: „Keine Gefahr!“ zu, und wir glaubten ihm auch, aber Monate nach Zusammenbruch des Kommunismus erzählte uns ein Wissender, Gendarmeriekapitän Fonyó, daß gerade damals eine furchtbare Gefahr für alle diese Gefangenen bestanden habe, denn Tibor Samuely hätte von Ödenburg aus telephonisch angefragt, ob schon alle Geiseln beisammen wären, und auf die bejahende Antwort hin in aller Seelenruhe verkündigt: „Morgen werden alle vor dem Dome gehängt!“ Er selbst wollte zu diesem blutigen Schauspiele auf ein paar Stunden nach Steinamanger herüberkommen, und es kostete dem zu Tode erschrockenen Kapitän nicht geringe Mühe, diesen verbrecherischen Degenerierten durch Versicherungen über vollständige Ruhe und Ordnung im Komitate von hier wegzubringen und in „gefährdetere“ Gegenden hinüberzulügen.
Schon am nächsten Tage erschien das gesamte Véper Direktorium in der Stadt und verlangte energisch die sofortige Enthaftung Sándors. Sie drohten dabei mit dem Ausbruche großer Unruhen im Orte selbst und auf den schon sehr erregten herrschaftlichen Meierhöfen. Die teils nicht allzu couragierten, teils wohlwollend gesinnten Steinamangerer Direktoren wieder waren selig, eine Ausrede gefunden zu haben, um die ganze Gesellschaft loszuwerden, und meinten darum: es ginge, weil „undemokratisch“ – das erstemal in meinem Leben eine richtige Anwendung dieses Wortes! – nicht an, einen Gefangenen allein zu befreien, man müsse in diesem Falle schon alle loslassen. Und so geschah es auch unverzüglich!
Als nun Sándor nach anderthalbtägiger Gefangenschaft das Komitatshaus verließ, begegnete ihm zufällig ein ehemaliger Diener, der nun Chauffeur eines Marie Draskovich „konfiszierten“ Bolschewikenautos war. Der erbot sich, ihn nach Vép zu bringen, was sofort dankend angenommen wurde. Hier hatte man schon in zwischen die bevorstehende Rückkehr des Schloßherrn erfahren, und Gendarmerie, „Rote Garde“ und Dienerschaft stellten sich vor dem Hause in Spalier zur feierlichen Begrüßung auf. Als nun der Kraftwagen über die Brücke fuhr, erschollen begeisterte Éljenrufe, immer und immer wieder, und der Heimgekehrte schüttelte allen dankbar die Hand, auch den wackeren Rotgardisten, die sich so aufrichtig über seine Errettung aus Todesgefahr gefreut hatten.
Dies ist ein kostbares Genrebildchen aus den – gottlob! – kurzen Tagen des ungarischen Kommunismus. Es zeigt uns, wie wenig der ganze blutige Unsinn im Herzen der braven bodenständigen Bevölkerung Wurzel gefaßt hatte. Gibt es denn etwas Weltfremderes und Widersinnigeres als die Negierung jedes privaten Eigentums? – Wie Jáncsi oder Denes über Kommunismus dachten, möge folgendes Geschichtchen zeigen: Jáncsi, ein Kleinhäusler, erhielt einmal den Besuch eines „Vertrauensmannes“. –„Jancsi, sagte dieser, „freue dich, morgen werden die Ochsen und Kühe des Gutshofes und der Bauern gerecht unter alle verteilt!“ – „Das ist gut!“ rief der Häusler und rieb sich die Hände. – „Und übermorgen die Pferde“, fuhr der Parteimann fort. – „Auch das ist gut!“ entgegnete Jáncsi. – „Nächste Woche kommen dann die Schweine dran …“ – „Halt! Das darf nicht geschehen!“ ruft der Dorfinsasse entsetzt dazwischen. – „Ja, warum denn nicht?“ fragt der verblüffte Aufteiler. – Drauf der Jáncsi prompt: „Weil ich selbst welche besitze!“
Außer den größeren Gefährdungen von Geld, Gut, Freiheit und Leben zeitigte dieser liebenswürdige Zu stand auch einen ganzen Hexenkessel von Belästigungen und kleinen, schon fast lächerlichen Seckaturen, wie sie eben kleine und trotz ihrer hochtrabenden Phrasen lächerliche Menschen erfinden. Die Gefahren nahm man wenigstens nicht wahr, denn sie hingen nur wie ein gottlob unsichtbares Damoklesschwert über unserem Haupte, die Belästigungen aber und die Schikanen waren beständig!
Die Güter bildeten, unaufgeteilt und wie sie eben lagen, Staatseigentum, wie jeder Besitz im Lande. Der ganze Betrieb wurde gleichsam eine Arbeitsgemeinschaft sämtlicher Angestellten und Beschäftigten mit dem „ehemaligen“ Eigentümer als Direktor an der Spitze. Dieser Vorgang ist entschieden einfacher, billiger und dabei um kein Haar schmerzhafter als die sogenannte ,,Bodenreform“ bei manchem liebwerten Nachbarn. – Geld durfte man keines besitzen oder aus dem Betriebe nehmen, außer höchstens minimalen Beträgen, zum Beispiel zur Bezahlung der roten Hauswache usw. Daß sich nichts Unerlaubtes in den Kassen ansammle, da für sorgten Kassekontrollen, wie die eingangs geschilderte. Da man aber niemand, nicht einmal den gewesenen Gutsbesitzer, verhungern lassen konnte, so mußte natürlich der Staat alle seine Zahlungen über nehmen, und es kam einem immer höchst merkwürdig und ungewohnt vor, am Ersten des Monats mit den Fleischhacker-, Kaufmanns- und anderen „Monats bücheln“ aufs Amt nach Steinamanger zu wandern, wo selbst eine ganze Kommission von komischen Käuzen tagte, die „mit ernstem Schütteln des Kopfes“ und nach strengen Ermahnungen zu Sparsamkeit und Enthaltung von allen irdischen Genüssen die Sache zur Bezahlung übernahm. Zwar wurde dabei auch angedeutet, daß „dies nur noch bis August so weitergehe“, was vielfach den Glauben aufkommen ließ, daß bis dahin ein all gemeiner Aristokratenpogrom geplant sei, ja, man fand angeblich sogar unter Kuns Papieren ein von ihm bereits gezeichnetes Pogromurteil für den 20. August. Vielleicht hätten aber doch auch wieder jene recht behalten, welche sagten, der hohe Adel Ungarns besäße ein solches Ansehen im Volke, daß nicht einmal der Menschenschlächter Samuely es wage, ihn anzutasten. Und tatsächlich verlor auch kein einziger Magnat in dieser blutigroten „Freiheitszeit“ sein Leben!
Teils um den für alle gefährlichen Bolschewismus niederzuringen, teils aber auch, um diese verworrene Zeit zu billigen Eroberungen zu benützen, waren die Rumänen ins Land gerückt. Vor ihrer Übermacht flohen unter anderem auch die Szathmarer Truppen, von denen man uns einige Mann nach Vép einquartierte, lauter hochanständige, antikommunistisch gesinnte Leute, welche die bisherige Rote Garde ablösten. Wir bekamen ihre Offiziere, einen Major, einen Rittmeister und einen Oberleutnant ins Schloß. Außerdem erhielten wir auch Nachricht von einer sich unter Horthy gegen die Bolschewiken bildenden Armee, welche die flammenden Reden des „ungarischen Capistran“ Zadravecs zu den Waffen predigten. — Agathi Ambróczy, die Tochter meines gefangenen Neffen István, fuhr des öfteren als Kundschafterin in Bauernmädchenkleidern hin und her. Jetzt wußte man endlich, daß die Tage Béla Kuns und der Seinen gezählt waren!
Ja, Ende Juli traf sogar ein unkontrollierbares Gerücht ein, der rote Tyrann sei gestürzt, und fast gleich zeitig ein Brief unseres Bischofs, worin er uns mit verstellter Schrift mitteilte, er sei aus seiner Pester Gefangenschaft geflohen und glücklich in unserem Jägerhause zu Károlyháza eingetroffen, wohin er Fery erbitte, um mit ihm Rücksprache über seine weiteren Schritte zu pflegen. Mein ältester hiesiger Enkel reiste sofort per Bahn dorthin ab. Er hatte ein altes Gewand angetan und einen Rucksack auf dem Rücken, um nur ja nicht etwaigen Spähern aufzufallen. Glücklich erreichte er auch die Station Kérta, wo er ausstieg und dem nahen Walde entgegenschritt. Dort erwartete ihn schon der herrschaftliche Revierjäger, der ihn zum Forsthause begleitete. Als sie in die Nähe desselben gekommen waren, sprang plötzlich ein Herr aus einem Gebüsch hervor – der Bischof! Es war ein ergreifendes Wiedersehen. Fery mußte ihm über alle unsere größeren und kleineren Leiden Bericht erstatten, worauf dann auch der Bischof zu erzählen begann: aus einer strengen und schikanösen Einzelhaft im Gefängnisse war es ihm schließlich möglich geworden, einer Krankheitsattacke wegen in ein Sanatorium überführt zu werden, wo er aber auch von Rotgardisten und Detektivs aufs strengste bewacht gewesen. Trotzdem schien es nicht gelungen zu sein, ihn ganz von der Außenwelt abzuschneiden. Er stand vielmehr durch seinen Diener Molnár in lebhaftem Verkehre mit Getreuen. So erfuhr er denn auch rechtzeitig, daß der Kommunismus in den letzten Zügen liege, und beschloß, zu fliehen, um der eminenten Lebensgefahr zu entgehen, in der er sich gerade jetzt als Geisel befinden mußte. Alles ward vom braven Molnár meisterhaft vorbereitet, ein Zivilanzug beschafft, ein Opernsänger sendete Brillen, Schminke und Schnurrbart. Andere wieder eine falsche Legitimation. Die braven Eisenbahner aber richteten in einem mit Wolle beladenen Waggon, der noch nicht plombiert war, ein sicheres Versteck her. Als nun gerade zufällig einmal der lange Korridor von Wache frei dalag, huschte der Bischof, gut verkleidet und gänzlich unkenntlich gemacht, aus seinem Zimmer, gelangte durch eine Glastüre ins Freie und schritt nun ganz gemütlich und wie in Zeitungslektüre vertieft, dem Bahnhofe zu, wo er, von Getreuen in Empfang genommen, alsbald hinter Wolle verschwand. Inzwischen führte der ebenso schlaue als tapfere Molnár den Herren Bolschewiken im Sanatorium eine charmante Komödie vor: er plauderte im Zimmer seines Herrn, wie wenn derselbe noch anwesend wäre, brachte ihm die Mahlzeit, die er selbst mit Appetit verspeiste, wünschte noch „Gute Nacht!“ und entfernte sich sodann, als ob nichts vorgefallen wäre. Bald darauf war er gleichfalls hinter Wolle allen Späher augen entzogen. Dann wurde der Waggon plombiert und rollte schon kurz darauf über Stuhlweißenburg und Veszprim der Freiheit entgegen. Auf einer Station beim Somlauer Weinberge verließen die zwei Flüchtlinge unbemerkt den Zug und begaben sich alsbald zu Fuß in unser einige Kilometer von dort entferntes Somlóvár, wo nicht einmal die nächsten Verwandten den so famos verkleideten Molnár erkannten. Am nächsten Tage ging’s dann weiter in das sicherer gelegene Jägerhaus zu Károlyháza, wohin dann auch unser Fery gebeten wurde. — Das ist in kurzen Worten die Odyssee des Grafen Mikes.
Inzwischen war schon im ganzen Lande bekannt geworden, daß die „Regierung“ Béla Kuns unter dem vereinten Drucke Horthys und der Rumänen zusammen gebrochen sei und, um besser mit Kind und Kegel entfliehen zu können, einer rein sozialistischen unter Herrn Peidl Platz gemacht habe, die sich, Gott sei Dank, auch nur ein paar Tage hielt und zurücktrat, nachdem sie Herrn Kun und Konsorten samt Anhang und geraubten Schätzen in einem komfortablen Salonextrazuge, dem demokratischesten Verkehrsmittel, nach Österreich in die liebenden Arme des Dr. Renner gerettet hatte, der das ganze Gesindel sodann in einem schönen Schlosse des Waldviertels unterbrachte. – Das war wieder die Odyssee Béla Kuns, die aber etwas bequemer und luxuriöser ausfiel als die bischöfliche!
Unter unendlichem Jubel, größter Begeisterung und bei den Klängen des Hymnus stieg die ungarische Standarte auf dem Turme unseres Schlosses hoch, ein Moment der Rührung und der Freude, wie man ihn bis zu seinem Tode nicht mehr vergißt!
Und das Resultat des Kunschen Abenteuers? Ein von den Rumänen total ausgeplündertes, von Rumänen und Tschechen stark courtiertes Land ohne Kredit und mit vernichteter Währung, royaume sans roi!
Bald darauf trafen der Bischof und Fery per Wagen aus Somlóvár ein, wohin sie sich von Károlyháza ausbegeben hatten. Dort waren schon alle Anstalten zur Unterbringung von 120 Proletarierkindern getroffen worden. In allen Zimmern standen Betten und wieder Betten, so daß das Ganze den Anblick eines Spitals bot. Auch im Bischofspalais in Steinamanger soll es grauenhaft ausgesehen haben. Graf Mikes beschloß da. her, nicht früher dort seinen Einzug zu halten, bevor nicht alles gereinigt und auf den früheren Stand gebracht worden sei. Die Zwischenzeit wollte er teilweise bei uns, teilweise auf seinem eigenen Landsitze verbringen. Kaum hatte man in der Stadt sein Einlangen in Vép erfahren, als schon nach und nach zahlreiche Deputationen, so der Geistlichkeit, der Zivil- und Militärbehörden, der Bankdirektorien usw. zu seiner Begrüßung eintrafen.
So nahte der 20. August, der Tag Stefans, des heiligen Königs von Ungarn, heran. Dieser Zeitpunkt war vom Bischof für die Rückkehr in den Hauptort seiner Diözese ausersehen worden. Sándor hatte eine Prunkkalesche, à la Daumont mit vier Pferden bespannt, zur Verfügung gestellt. Die Husaren in Steinamanger sandten eine Ehrenkompagnie, die Szathmarer Truppen eine Offizierspatrouille zu seiner Begleitung. So kehrte denn Graf Mikes nach langmonatiger schwerer Haft und einer abenteuerlichen Flucht aus derselben unter dem namenlosen Jubel der Bevölkerung und dem Ge läute der Glocken in das festlich geschmückte Steinamanger zurück!
Quelle: Gräfin Helene Erdődy: Fast hundert Jahre Lebenserinnerungen (1831-1925). Zürich, Leipzig, Wien: Amalthea-Verlag 1929, 219-243.