Eine friedliche Revolution
- Übersetzt von: Orsolya Rauzs
- Publikationsdaten: Ort: Budapest | Jahr: 1946
- Erschienen in: Új Idők
- Ausgabe-Datum: 28. 09. 1946
- Sprachen: Deutsch
- Gattung: Reportage
Übersetzung
N.N.: Eine friedliche Revolution
Man konnte in den Zeitungen lesen, dass der Kultusminister dem Parlament den Gesetzentwurf über die Gleichberechtigung der Frauen vorgelegt hatte.
Wir haben einige Frauen befragt, die dank ihrer außergewöhnlichen Talente, Fähigkeiten und Kenntnisse den Männern schon seit langem „gleichgestellt“ sind, und wir haben ihnen folgende Fragen gestellt: Sind Sie mit der Gleichberechtigung der Frauen einverstanden? Denken Sie nicht, dass die Frauen weniger weiblich werden, wenn sie alle Berufe ausüben können? Beeinflusst die Gleichberechtigung das Familienleben negativ? Worin sehen Sie die größten Vorteile oder die eventuellen Nachteile der Gleichberechtigung?
Hier sind die Antworten auf unsere Fragen.
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Eine Schriftstellerin: Lola Kosáry, geb. Réz
Als Mädchen dachte ich immer rebellisch darüber nach, warum Frauen mit Männern nicht gleichberechtigt sind, aber seitdem habe ich einiges gelernt und kann mich jetzt nicht mehr so begeistert auf die Gleichberechtigung freuen. Ich mache mir Gedanken, ob das nicht nur auf dem Papier stehen wird und ob die weibliche Arbeitskraft überall ausprobiert wird, wo sich Frauen bewerben. Meine andere Sorge ist, ob wir dieses Geschenk in Anspruch nehmen können und ob wir es wirklich verdienen? Kann die neue Generation schätzen und behalten, was unsere Großmütter und Mütter errungen haben? Ich glaube, das unverdiente Leid ist immer wertvoll, aber eine unverdiente gute Sache oder Erleichterung ist nicht von Dauer, sondern sie verschwindet wie das leichte Geld. … Ich weiß, dass viele befürchten, dass die Frauen durch die Gleichberechtigung weniger weiblich werden. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass die Frauen nur unweiblich waren, solange sie sich als Frauen nicht behaupten konnten und deswegen männlich sein mussten, um sich überhaupt durchzusetzen. Solange mir als Kind ein Kochlöffel in die Hand gedrückt wurde statt eines Lateinbuchs, habe ich den Kochlöffel gehasst, aber jetzt koche ich gerne für meine Enkelkinder. Sobald Frauen keine Hemmungen mehr haben werden, wird sich der am Anfang des Jahrhunderts ausgedachte Typus der modernen Frau entwickeln, die völlig weiblich ist und sich trotzdem überall bewährt.
Eine Privatdozentin der Technischen Universität: Dr. Beatrix Takaró, geb. Gáli
Der Krieg hat gezeigt, dass sich Frauen überall gut bewähren. In den Ländern, die vom Krieg betroffen waren, konnten Frauen Pilotinnen, Lokführerinnen, Autofahrerinnen und Schwerarbeiterinnen sein, und in den meisten Ländern leisteten sie sogar Kriegsdienst. Aber die Frauenarbeit wurde nicht nur hinsichtlich der körperlichen Arbeit, sondern auch im politischen und intellektuellen Bereich wichtiger. Es gibt mehrere Länder, in denen Frauen zu Ministerinnen oder Staatssekretärinnen ernannt werden. Viele Frauen tragen auch als Wissenschaftlerinnen und Universitätsprofessorinnen zum Ruhm des weiblichen Geschlechts bei. Bei uns in Ungarn ist diese Frage erst heutzutage so wichtig geworden, dass die Arbeit der Frauen endlich die Anerkennung findet, die sie verdient. Die Vizepräsidentin des Parlaments ist eine Frau, die Beraterin der Abteilung für Sozialpolitik im Rathaus ist ebenfalls eine Frau, außerdem gibt es viele Ministerialrätinnen, Oberärztinnen und Direktorinnen. Aus gesellschaftlicher Sicht ist es eine bedeutende Neuerung in der Pädagogik, dass Lehrerinnen jetzt nicht nur in Schulen für kleinere Jungen, sondern auch in höheren Jungenschulen angestellt werden, um Jungen zwischen 14 und 20 Jahren zu unterrichten. Und das ist richtig, denn wie die Gesellschaft im wahren Leben von Frauen und Männern gemeinsam gebildet wird, genauso können auch Jugendliche, die sich auf das Leben vorbereiten, davon profitieren, wenn sie sowohl von Frauen als auch von Männern unterrichtet werden. Frauen sind für die Jungenschulen deswegen ein großer Gewinn, weil sie die Jungen neben der Vermittlung von Fachkenntnissen und der von ihnen gewährleisteten moralischen Erziehung sogar durch ihr bloßes Auftreten zu gutem Geschmack, Feinsinnigkeit, guten Manieren und Beredsamkeit motivieren. Nach allgemeiner Erfahrung erscheinen Jungen, die auch von Lehrerinnen unterrichtet werden, in der Schule tendenziell sauberer und ordentlicher, sie sind weniger laut und wild und benehmen sich höflicher sowie anständiger. Ansonsten halten wir den Vormarsch der Frauen aus gesellschaftlicher Sicht deswegen für wichtig, weil wir glauben, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Versöhnung der Gegensätze leisten. Die Frauen haben die Aufgaben, einen reineren Geist des öffentlichen Lebens zu schaffen, den Umgang der Menschen miteinander friedlicher und liebevoller zu machen und zu erreichen, dass die Menschen sich gegenseitig respektieren, damit alle ein Leben in Würde leben können.
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Eine Sozialarbeiterin: Julia Éva Vajkai, ungarische Vertreterin der englischen Organisation Save the Children
In den Kriegszeiten haben wir Frauen gezeigt, dass wir genauso viel leisten wie Männer. Übrigens bin ich der Überzeugung, dass jeder Beruf auch eine Seite hat, bei der Frauen besser sind als Männer. Ich denke dabei z.B. an Familien-, Waisen- und Jugendgerichte, wo man unbedingt eine juristische Qualifikation braucht. Oder wird z.B. unser Zuhause etwa nicht schöner, wärmer, funktioneller und geschmackvoller werden, wenn Häuser von Architektinnen entworfen werden können? Europa machte den größten Fortschritt im Bereich des Arbeitnehmerschutzes mit der Ernennung von Frauen zu Gewerbeaufsichtsbeamtinnen. Ich bin auch davon überzeugt, dass die weiblichen Mitglieder von städtischen Kommissionen auch an vieles denken werden, was den Männern nicht einmal einfällt. Die schöpferische Kraft der Frau ist mit der Mutterschaft eng verbunden. Frauen, die in der Sozialarbeit etwas Großes geleistet haben, wären alle die besten Mütter, haben jedoch entweder nie geheiratet oder nie Kinder gehabt. Die Engländerin Eleanor Rathbone, die ihr Leben lang für die Einführung des Kindergeldes kämpfte, war kinderlos. Sie konnte noch erleben, dass das Parlament das Kindergeld bewilligte, und starb einige Wochen später. Übrigens war sie viele Jahre lang Bürgermeisterin von Liverpool. In den nördlichen Ländern gibt es keine Jugendgerichte, sondern lokale Kinder- und Jugendschutzräte, und das Gesetz schreibt vor, dass eines der fünf Mitglieder dieser Räte jeweils eine Frau sein muss. Ich sehe die größte Bedeutung der Gleichberechtigung darin, dass Frauen an solchen Orten unter den Männern Wache stehen. Wenn Frauen ihre typischen Fähigkeiten ausüben können, können sie die Welt viel weiter voranbringen.
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Deutsch von Orsolya Rauzs
N.N.: Békés forradalom. In: Új Idők, 28.09.1946, Heft 34, S. 564–565.