Kann die Zeitschrift „Nyugat“ [Westen] auferstehen
- Übersetzt von: Orsolya Rauzs
- Publikationsdaten: Ort: Budapest | Jahr: 1946
- Erschienen in: Színház
- Ausgabe-Datum: 1946
- Sprachen: Deutsch
- Originalsprachen: Ungarisch
- Gattung: Artikel
Übersetzung
Endre Sömjén: Kann die Zeitschrift „Nyugat“ [Westen] auferstehen?
Oszkár Gellért: „Ich sehe keine begeisterte Garde, die das sichere Fundament des neuen „Nyugat“ sein könnte …“
„Ein besonderes poetisches Talent, aus dessen Herzen die Lyrik nicht ungehindert quillt und das stattdessen jedes Wort zuerst einer inneren Zensur unterwirft.“ Die Zeilen einer literarischen Studie über Oszkár Gellért kamen mir in den Sinn, als ich dem Dichter gegenübersaß. Meine erste Frage an ihn war persönlicher Natur:
[…]
– Sie sind als pessimistischer Dichter bekannt, was hat dann zu diesem plötzlichen Wandel geführt?
– Die Antwort auf diese Frage sollte man in der Geschichte suchen. Ich hatte ursprünglich keine pessimistische Natur, nur die politischen Ereignisse, die Verfolgung und die Unterdrückung haben mich zu einem Pessimisten gemacht. Seit der Befreiung bin ich aber voller Optimismus und Hoffnung.
– Wann ist Ihr erster Gedichtband erschienen?
– Ich habe meinen Gedichtband „Az első stációnál“ [An der ersten Station] 1902 veröffentlicht. Ich wurde von Ernő Osvát entdeckt, der damals der Herausgeber von „Magyar Géniusz“ [Ungarischer Genius] war. Einige Tage später stellte er mich als Mitherausgeber an. Das war eine große Ehre für mich, da ich damals erst zwanzig war. Osvát war dann seit 1908 der Herausgeber von „Nyugat“, und 1920 wurde ich neben ihm wieder Mitherausgeber.
Unser Gespräch dreht sich langsam immer weniger um persönliche Themen, und folgende Frage stellt sich von selbst, so selbstverständlich, dass keiner von uns sich wundert: „Warum wird der „Nyugat“ nicht fortgesetzt“?
– Seit der Befreiung ist es nicht einmal versucht worden, den „Nyugat“ wiederzubeleben. Der Grund dafür sind weniger das teure Papier, der Geldmangel der Leser oder die Unfruchtbarkeit der Schriftsteller, sondern eher, dass die neue Generation die Notwendigkeit der Erneuerung der ungarischen Literatur nicht so intensiv fühlt wie wir vor vierzig Jahren. Wo ist der Ernő Osvát, auf den sich diese Generation mit vollem Vertrauen verlassen könnte, wie wir es vor vierzig Jahren taten? Kosztolányi sagte über ihn: „Jahrhunderte können vergehen, bis ein solcher Mensch wieder geboren wird“. […]
– Sie machen jungen Schriftstellern schwerwiegende Vorwürfe. Aber wenn sie sich nicht einsetzen, warum organisieren sich dann nicht diejenigen, die aus der großen Generation des „Nyugat“ noch leben und bedeutende Figuren unseres literarischen Lebens sind?
– Was die Vorwürfe betrifft, übernehme ich die Verantwortung und warte sogar auf die Diskussion, die leider nicht anfangen will. Die jungen Schriftsteller scheinen meine Vorwürfe zu akzeptieren, weil sie einsehen, dass ich Recht habe. Warum werden dann nicht die Angehörigen der ersten Generation des „Nyugat“ zu Initiatoren? Weil wir keine begeisterte Garde sehen, deren Tätigkeit das sichere Fundament des neuen „Nyugat“ sein könnte.
– Welche früheren Angehörigen des „Nyugat“ sind noch am Leben?
– Ignotus, Lajos Biró, Lajos Hatvany, Menyhért Lengyel und Anna Lesznai sind im Ausland. Sarolta Lányi, György Lukács und Béla Balázs sind schon aus der Emigration in Moskau zurückgekehrt. Außerdem sind Jenő Heltai, Aladár Schöpflin, Miksa Fenyő, Lajos Fülep, Milán Füst, Lajos Kassák, Aurél Kárpáti, Géza Laczkó, Lajos Nagy, Ernő Szép, Béla Szilágyi, Jenő Józsi Tersánszky diejenigen, auf die der neue „Nyugat“ vielleicht bauen könnte. Es gibt aber auch eine zweite Generation, die sich erfreulich entwickelt, und ich vertrete den Standpunkt, dass diese jungen Leute den ersten Schritt tun sollten. Sie müssen unter sich diejenige Respektperson finden, der sie die Leitung des neuen „Nyugat“ anvertrauen können. Das Traurigste ist, dass viele Vertreter der zweiten Generation leider gestorben sind. Die Namen György Bálint, László Fenyő, Andor Endre Gelléri, Gábor Halász, András Hevesi, Attila József, András Komor, Károly Papp, Miklós Radnóti, György Sárközi und Antal Szerb stehen auf der Liste der Kriegsverluste des „Nyugat“.
– Was wäre die Aufgabe des neuen „Nyugat“ Ihrer Meinung nach?
– Wenn der „Nyugat“ wieder herausgegeben würde, hätte er die gleiche Aufgabe wie vor vierzig Jahren: Kampf gegen die akademische und journalistische Literatur. Aber die Frage haben Sie vielleicht deswegen gestellt, weil einige Menschen aus dem Namen „Nyugat“ [Westen] schlussfolgern könnten, dass die Zeitschrift nur der Kultur und Literatur der westlichen Länder Einfluss gewähren und die sogenannten westlichen Trends vertreten würde. Schon damals ging der Namensgebung des „Nyugat“ eine große Debatte voraus. In der ersten Ausgabe, die vor vierzig Jahren erschien, schrieb Ignotus den sich mit diesem Namen reimenden Leitartikel „Kelet népe“ [Volk des Ostens]. Abgesehen davon war es eben der „Nyugat“, der sich mit der russischen Literatur am meisten beschäftigte.
– Was machen Sie aktuell?
– Meine einzige Beschäftigung ist jetzt, dass ich Geschäftsführer des Magyar Írók Szövetsége Barátai [Freundeskreis des Verbandes Ungarischer Schriftsteller] bin. Ich arbeite am Programm dieses Verbandes. Aus den Mitgliedsbeiträgen möchten wir Preise verleihen, die Not von Schriftstellern lindern und auch Bücher sowie eine Zeitschrift herausgeben. Der Verband plant außerdem die Herausgabe von drei Gedenkmedaillen, die mit Literaturpreisen verbunden werden. Wir werden jedes Jahr den Zsigmond-Móricz-Preis an Schriftsteller, den Attila-József-Preis an Dichter und den Ernő-Osvát-Preis sowie eine Gedenkmedaille an den besten Essayisten vergeben. Zudem verspricht auch die vom Verband aufgegriffene „Kulturkalorien“-Bewegung von Gyula Háy sehr gute Ergebnisse.
Deutsch von Orsolya Rauzs
Feltámadhat-e a Nyugat? In: Színház, 1946, Heft 17, S. 12.