Emanzipation & RevolutionNationalismus & Nationalitäten

Auch ein Hochverräther (Eine kleine ungarische Geschichte)

  • Autor*in: Karl Emil Franzos
  • Publikationsdaten: Ort: Wien | Jahr: 1873
  • Erschienen in: Die Presse
  • Ausgabe-Datum: 10. 08. 1873
  • Entstehungsjahr: 1873
  • Originalsprachen: Deutsch
  • Verfügbarkeit: Österreichische Nationalbibliothek
  • Gattung: Feuilleton

Kommentar:

Der österreichische Schriftsteller und Publizist Karl Emil Franzos (1848–1904) veröffentlichte in seinen Berichten „Aus Halb-Asien“ Lebensbilder (sogenannte „Culturbilder“) über den östlichen Teil der Doppelmonarchie. Diese Erzählung – die 1875 in den zweiten Band der Anthologie „Aus Halb-Asien“ aufgenommen wurde – berichtet über einen Besuch und Spaziergang in der Hauptstadt der ungarischen Reichshälfte. Das Feuilleton vermittelt einen besonderen topografischen Blick auf die Stadt: Nachdem der Erzähler am Pester Quai Buda und Pest (als Teile des im selben Jahr vereinigten Budapest) in Augenschein genommen hat, bewegt er sich auf Pester Seite Richtung Süden, aus dem Zentrum der Stadt hinaus in die Peripherie. In der Franzstadt trifft er auf eine Bevölkerung, die sich durch zwei entgegengesetzte kulturelle Merkmale auszeichnet: Es handelt sich um Deutschstämmige (ein „junges, übermüthiges Germanenthum“), die eine besonders affirmative Beziehung zur Heimat und zum „magyarischen Chauvinismus“ pflegt. Im Zeichen der Magyarisierung bekennt man sich bewusst und demonstrativ als Ungar, was den Erzähler selbst, der bekanntlich ein germanophiler jüdischer Intellektueller aus Czernowitz (Galizien) war, zu ironischen Kommentaren veranlasst. Das Feuilleton gipfelt in einer Szene, in der der Erzähler mit einem in dialektalem Deutsch sprechenden „Flickschuster“ spricht. Der Erzähler hört ungarische politische Programmrufe („Du schwarzgelber Hund!“, „Éljen Kossuth!“), die, wie es sich herausstellt, der „Staarl“ (wahrscheinlich der Eichelhäher) des Flickschusters von sich gibt. Hierauf erzählt ihm der Flickschuster die Geschichte seines ehemaligen Vogels, Michel, der in der Bach-Ära wegen solcher „Achtundvierziger“-Sprüche konfisziert und getötet wurde. Über die Karikatur der ehemaligen Übergriffe der österreichischen Machthaber hinaus dient die Anekdote auch als Allegorie der nationalen Verblendung, die den Menschen zum politische Programmsprüche wiederholenden Tier erniedrigt.