Die Frau
- Autor*in: Zoltán Thury
- Übersetzt von: Katalin Teller
- Publikationsdaten: Ort: Budapest | Jahr: 1898
- Erschienen in: Budapesti Napló
- Ausgabe-Datum: 15. 05. 1898
- Sprachen: Deutsch
- Originalsprachen: Ungarisch
- Gattung: Artikel
Übersetzung
Zoltán Thury: Die Frau
Herr Fülöp kam am Spätnachmittag nach Hause, und lustlos, zerstreut aß er die abgekühlten Speisen, die die schlampige, häßliche, alte Magd ungeschickt und aufeinander gestapelt in das Zimmer trug. Die Flüssigkeiten schwappten am Rande der Schüsseln über, man mußte aufpassen, daß man sich die Hand nicht mit Erbsenbrei besudelte, wenn man eine Schüssel anfaßte. In der Suppe schwammen große Exemplare verbrannter Petersilie, und das große, dumme Mädchen trug das Fleisch so hinein, als wären es nur Reste. Herr Fülöp wandte sich angeekelt vom Tisch ab, warf die Tischdecke, die eher ein zerknittertes Waschtuch mit großen Speiseflecken war, von sich und begann, nach einer Zigarre zu suchen. Er durchforschte alle seine Taschen, fand aber keine. Darauf ging er in das andere Zimmer, um weiter zu suchen. In der Ecke entdeckte er auch eine halbe Zigarre, die er wohl noch zwei Tage zuvor dorthin geworfen hatte. Er zündete sie an, ging vor das Haus, lehnte sich an die Mauer und starrte mit leerem, starrem Blick vor sich hin, während er den bitteren Rauch in großen Schwaden ausblies. Die Frau hockte, als hätte sie nichts gesehen, immer noch am Tisch. Sie war klein, und wenn sie sich auf dem Stuhl zusammengekrümmt nach vorn beugte, erreichte sie kaum den Tisch. Sie wandte nur den Kopf müde nach ihrem Mann, aber als würde sie sich nicht viel um ihn kümmern, ließ sie sich immer wieder schlaff in ihre eigene Welt zurückfallen, und wartete schläfrig, kränklich und mit feuchten Augen darauf, daß vielleicht jemand kommen würde, um sie auf das Liegesofa oder ins Bett zu schleppen. Sie war lauter Müdigkeit wie ein junger Sperling, dem man Wasser auf den Kopf geschüttet hatte und der jetzt auf der Brache fror.
Als die Magd freiwillig, einfach so wieder ins Zimmer kam und ihr die Tischdecke unterm Ellbogen wegzerrte, erhob sie sich mühsam und folgte ihrem Mann vors Haus. Unter der Rinne stand ein zerfetztes Sofa, aus dem Maisgras heraushing. Sie streckte sich darauf hin und starrte auf den Mann. Er fühlte ihren Blick und wandte sich nach ihr um. Für einen Augenblick strahlten seine Augen Wohlwollen und Liebe aus, aber an seinem Blick war zu bemerken, daß in seinem Kopf ein großes Durcheinander herrschte, denn er wandte sich schnell ab und starrte wieder das gegenüberliegende Haus an … und rauchte verärgert seine Zigarre. Die bittere Zigarre mit ihrem durchnäßten Ende juckte an den Lippen und brannte an den Fingern.
Der Zaun des Hauses stand viel tiefer als das Gebäude selbst. Man konnte über ihn auf die Straße und den abschüssigen Weg entlang weit hinaus in die Vorstadt sehen. Es waren kaum Menschen auf den Straßen, bloß einzelne Karren holperten den Hang hinauf, auf diesem Leidensweg der Ackerpferde, der zu der Bergspitze führte. Die Kutscher schlugen die Pferde mit dem Peitschenstock, schlenderten schimpfend den Berg hinauf und schnauften laut, wenn sie mit den Ziegeln und Steinen den Gipfel erreichten. Außer ihnen liefen bloß noch vereinzelte Bäuerinnen und Mägde in dieser staubigen, heißen Gegend herum, sonst herrschte eine Stille, eine solche Stille, daß vom weiten , jenseits des Schlagbaumes aus dem Schilfdickicht, das Quaken der Frösche zu hören war. Als hätte ringsherum die Welt auf das Erwachen der Dämmerung gewartet, auf den stillen Abend, wenn auf den Straßen Ziehharmonika gespielt und gesungen werden kann …
Oben, vor dem Haus, streckte sich nun auch der Mann auf dem Sofa aus, aber ganz am anderen Ende, als wäre die Frau gar nicht da. Auch die dickleibige alte Magd kam nun heraus und begann geräuschvoll am Pumpbrunnen zu zerren. Sie kümmerte sich nicht um die beiden. Das Wasser aus dem Eimer schüttete sie über ihren schmutzigen Rock und die nackten Füße, bis sie in die Küche hineintrottete, und so blieben Herr Fülöp und die Frau allein.
Die Frau schien sich darau vorzubereiten, etwas zu sagen. Sie öffnete hin und wieder den Mund, blieb aber stumm. Dies allein genügte schon, um den Mann zu erschrecken, er stand auf und wollte ins Zimmer. Die Frau faßte sich nun ein Herz. Sie nahm seine Hand und zog ihn zu sich hinunter.
„Károly“, begann sie jammernd, so gut sie konnte, dem immer wieder herausbrechenden Weinen widerstehend, „ich gehe so zugrunde. Ich komme um, wenn das so weitergeht. Manchmal fühle ich bereits, wie es mir kalt den Rücken runterläuft, aber nicht so, als wäre mir kalt, sondern als würde alles in mir gefrieren. So kann ich nicht leben. Ich habe mir, als ich dich geheiratet habe, die Zukunft nicht so vorgestellt. Ich wußte, daß du dieses kleine Haus hast, daß du ein kleines Einkommen hast, ich dachte, daß wir in Ehre miteinander auskommen werden, daß …“
„Wir kommen doch miteinander aus.“
„Ja, aber wir entfernen uns vonTag zu Tag mehr voneinander. Du siehst mich nicht einmal mehr an. Das bringt mich um … Was ist denn los mit dir? Sage es mir, reden wir darüber.“
„Ich weiß es nicht.“
„Dann würden wir uns vielleicht verstehen. Ich würde dir sagen, was ich zu sagen habe, du gleichfalls, und dann würden wir alles nebeneinanderstellen …“
Der Mann schloß die Augen, hörte der Frau in seiner Ermattung gar nicht mehr zu. Jene hörte zu sprechen auf und starrte mit durstiger Neugier ins Gesicht des Mannes, um eine Antwort zu suchen.
Als sie bloß Langeweile und Ärger im Gesicht des Mannes sah, brach die Bitterkeit aus ihr heraus.
„Ich bin doch deine Frau, nicht wahr?! Ich will nicht mehr die Rolle der Magd neben dir spielen. Erkläre mir, was mit dir los ist! Du hast Sorgen. Du kannst sie nicht loswerden. Oder bin ich deine Sorge? Liebst du mich nicht mehr? Haßt du mich?“
Sie stand auf, und man konnte es ihr ansehen, daß sie solange nicht weggehen würde, bis sie ihre Sache erledigt hat. Der Mann starrte sie an. Als hätte diese Frau begonnen, ihn zu interessieren. Er lächelte sogar ein wenig, als er sie musterte, aber er schwieg noch immer. Die Frau verlegte sich aufs Flehen, und begann bitter zu weinen.
„Sprich, Károly, um Gottes willen. Mache mich nicht wahnsinnig …“
Der Mann schien müde zu sein, erholte sich ein wenig.
„Nun, weißt du“, begann er zu sprechen, „eine Frau kann das wohl nicht verstehen. Es ist vergeblich, wenn ein Mann darüber im Ernst mit einer Frau sprechen will. Der Mann ist objektiv, die Frau nicht, der Mann ist nüchtern, ruhig, die Frau ist voller kranker Nerven, auch wenn sie gesund ist. Das Auge der Frau ist ein Vergrößerungsglas, sie sieht das Unglück, die Not, die Gefahren in gesteigertem Maße, sie wird blaß und beginnt zu zittern vor einem Unglück, dem sich der Mann mitten auf der Straße stellt, um es zu bekämpfen. Die Frau muß ständig gepflegt werden. Sie wiegt das Kind in den Armen, der Mann aber, wie sehr auch immer sein Kopf vor Sorgen brummt, um seine Position draußen in der Welt zu behalten oder sich eine zu sichern, wenn er keine hat, oder wenn er sich die Füße wund laufen muß, um für das Brot zu sorgen, wenn sein Kopf an den zwölf Stunden des Tages durch Kampf mit den Stürmen betäubt wird, wenn er vor Sorgen und im ewigen Ringen krank wird, muß er noch zu Hause die Frau pflegen. Denn ihr seid alle krank, wie immer ihr auch blüht. Ihr seid jene Ackerwinde, die sich um die Eiche schlingen und ihr die Kraft aussaugen, denn ihr seid nicht ganze Menschen, bloß Frauen, kleiner Gesichtskreis, kleine Gesichtspunkte – und dabei verlangt ihr so einen großen Teil vom Leben des Mannes, daß ihr ihn lähmt.“
Die Frau riss die Augen weit auf und sah den Mann entsetzt an:
„Ich?“
„Nicht nur du, sondern ihr. Deine Art, diese Guten, Ehrlichen, Reinen, wie du. Jede Frau, deren Stärke es ist, nur dem Manne zu gehören. Sie verlangt doch den Mann nur für sich selbst, sie klammert sich an ihn und läßt ihn nicht mehr von ihrer Seite. Obwohl sie kein Teil der Arbeit ist, bloß ein Bündel, das der Mann in seinem Schoß tragen muß, wie hoch auch immer er klettert. Und deshalb verlottern wir, wir verlottern immer mehr in der Ehre. Das Gehirn, das Herz des Mannes wird vom Tragen der Last müde, seine Sinne werden matt, die Arme werden schwach, er hört und sieht nicht mehr, er ist zu keiner Aktion fähig, er verfällt gänzlich der Frau zu …“
Er wischte sich müde über die Stirn. Er war vom Sprechen erschöpft. Die Frau wartete zaghaft, was er noch sagen würde.
Auf einmal wollte sie „alles“ gierig wissen; als würde sie ein Urteil vernehmen, lauschte sie den Worten ihres Mannes mit gieriger Angst. Der Mann sammelte langsam seine Gedanken, und er fuhr leise, beinahe nur mit sich selber sprechend, fort:
„Wenn ihr euch nicht gänzlich übereignen würdet, wäre alles anders. Damit würdet ihr das Recht verspielen, uns für euch so zu besetzen, wie wir in eurem Besitz sind. Wenn wir mit gutem Gewissen etwas Unwürdiges in euch finden könnten, etwas, was davon zeugen würde, daß ihr nicht nur unseretwegen lebt, könnten wir auch in die Welt hinausgehen. Hinein in die Fremde, von der ihr uns jetzt abhält. Die reine, allerehrlichste Frau ist ein Feind der Öffentlichkeit, sie lähmt den Mann. Der Mann kann sich nicht in die Sünde, in die Tugend hineinstürzen, er kann sich nicht dem Kampf stellen, wo ein ganzer Mensch notwendig ist. Die eine Hälfte seiner Seele bleibt immer daheim.“
Unten, ringsherum wurde die Welt von der Dämmerung bedeckt, es kam der friedliche, stille Abend, oben, vor dem Haus aber rang der Mann in wahnsinnigem Fieber.
„Wenn der Mann geschaffen ist, um nicht nur sich selbst zu dienen, sondern auch etwas anderem, einem großen, gemeinsamen Ziel, wenn er geschaffen ist, um gekreuzigt oder eingekerkert zu werden, oder um im Ringen wahnsinnig zu werden, muß ihn die Frau betrügen. Die Frau soll klein werden, soll unehrlich werden, damit sich der Mann von ihr abwenden und seinen eigenen Weg gehen kann. Sie soll sich nicht wie ein Kleinkind in seine Arme legen, um gewogen zu werden, sondern soll ihm aus dem Weg gehen. Sie soll dieses Opfer für die Gemeinschaft bringen …“
Er sprang auf, und nun schrie er bereits.
„Ich könnte etwas tun, aber ich stocke. Betrüge mich!“
Die Frau starrte ihn blaß und entsetzt an.
Übersetzt von Katalin Teller
Thury, Zoltán: Az asszony. In: Budapesti Napló, 15.05.1898, S. 1–2.
Quelle: Kerekes, Amália/Millner, Alexandra/Orosz, Magdolna/Teller, Katalin (Hg.): Mehr oder Weininger. Eine Textoffensive aus Österreich/Ungarn. Wien: Braumüller 2005, S. 86–90.