Emanzipation & RevolutionNationalismus & Nationalitäten

Frei wie die Ungarn

  • Publikationsdaten: Ort: Wien | Jahr: 1867
  • Erschienen in: Konstitutionelle Volks-Zeitung
  • Ausgabe-Datum: 06. 16. 1867
  • Entstehungsjahr: 1867
  • Originalsprachen: Deutsch
  • Verfügbarkeit: Österreichische Nationalbibliothek
  • Gattung: Erzählung

Kommentar:

In dem am 16. Juni 1867 veröffentlichten Beitrag in der Arbeiter-Zeitung wird ein Resümee über das Ergebnis des Ausgleichs und das nationale Engagement der Ungarn gezogen. Diese Zusammenfassung ist ca. drei Wochen nach der Verabschiedung des Gesetzes durch den ungarischen Gesetzgeber (29. Mai 1867) verfasst, welche die rechtliche Grundlage für die Gründung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bietet. Die ungarische und die österreichische Legislative wurden gleichgestellt, die Voraussetzungen für die autonome Entwicklung beider Staaten wurden geschaffen und am 8. Juni wurde Franz Joseph I. zum ungarischen König gekrönt. Von da an nimmt aus ungarischer Perspektive eine Epoche der infrastrukturellen Entwicklung und eine friedliche, in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht ertragreiche Gründerzeit ihren Anfang, deren Höhepunkt das Millennium-Jahr 1896 darstellt. 

Der Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn löste jedoch auch Widerstand aus: er wurde von keinen anderen Völkern des Kaiserreichs begrüßt, denn es bedeutete ein endgültiges Scheitern für föderale Bestrebungen. Den Nationalitäten wurden zwar nach dem Ausgleich in der ungarischen Reichshälfte zwar Rechte zugesprochen, aber diesen wurde in den späteren Jahren immer weniger Geltung verschaffen. Nur den Kroaten gelang es 1867, einen kleineren Ausgleich mit Ungarn zu erzielen, der ihnen relative Freiheit und eigene Vertreter in der Legislative einräumte. In den späteren Jahrzehnten wurden die nationalen Bestrebungen der Völker von der ungarischen Legislative immer stärker unterdrückt, ein wichtiges Instrument dafür war die sogenannte Magyarisierungspolitik, die der nicht-ungarischen Bevölkerung die Assimilierung möglichst mit sanften Mitteln (Magyarisierung der Eigennamen, intensiv getriebener Sprachunterricht in den Schulen, ungarische Gottesdienste etc.) aufbürdete. 

Aber auch die deutschsprachige Bevölkerung könnte den Ausgleich besorgt betrachtet und in der ungarischen Autonomie eine Gefahr der ungleichmäßigen Entwicklung erblickt haben. Bekümmert scheint auch der/die Verfasser*in des vorliegenden Artikels zu sein. Seine/ihre Reflexionen und Selbstbekenntnisse legen nahe, dass es sich hierbei um einen/eine Autor*in der österreichischen Reichshälfte handeln dürfte, der/die eine Unterlegenheit österreichischer Bürger*innen gegenüber souveränen Ungarn befürchtet und eine Protesthaltung gegenüber dem Absolutismus und den atavistischen administrativen Institutionen des Kaiserreiches demonstriert. Seine/ihre Agenda lautet, wie auch der Titel kundgibt: „Frei wie die Ungarn“. Ist es den Ungarn gelungen, sich als Nation aufzustellen und die nationale Freiheit zu erlangen, müssen wir uns auch aufstellen, um die politische Emanzipation durchzusetzen. Dem/der Autor*in dürfte die politische Gleichstellung und die grundlegenden persönlichen Freiheiten der Bürger auf dem Herzen liegen. Diese traten aber noch in dasselbe Jahr in Cisleithanien mit der Dezemberverfassung 1867 in Kraft. Das neue Grundgesetz von Österreich macht einen riesigen Fortschritt im Bereich politischer Emanzipation, denn es garantiert als erstes seiner Art in Europa die Abwehrrechte der Bürger und Bürgergruppen (wie Unverletzlichkeit des Eigentums, freier Verkehr von Personen, Briefgeheimnis etc.) gegenüber dem Staat. 

 

verfasst von Szilveszter Fórián (Szeged)