Elena Márothy-Šoltésová: Über die Frauenfrage
Fortsetzung
Zurückkehrend zum eigentlichen Thema des Beitrags lässt sich sagen, dass die Frauenbewegung als solche, die aus sittlichen und in zweiter Linie auch aus materiellen Bedürfnissen entstand und schon dadurch ihre Berechtigung hat, diese nur erhalten kann, wenn sie weiterhin die sittliche Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft anstreben wird. Sollte sie davon abweichen und mit unangemessenen und skrupellosen Mittel ausschließlich Fraueninteressen (und seien diese auch nicht gut), ausschließloch der Befreiung von Frauen dienen, das hohe, gemeinsame Ziel der Menschheit aus den Augen verlierend, würde sie notgedrungen einen Misserfolg erleiden und eine Gegenbewegung aller gut Gesinnten beiderlei Geschlechts hervorrufen.
Wo es zu viel Freiheit gibt, gibt es angeblich auch immer zu viel Willkür und Irrtümer. Alle edlen und vernünftigen Frauen sollen darüber wachen, dass die neu erworbene Befreiung keine vernichtenden Irrtümer nach sich zieht – und vor allem nicht vergessen, dass das sittliche Gesetz nie nach individuellem Dafürhalten und überhaupt willkürlich gebogen werden darf, sondern umgekehrt die Willkür immer den sittlichen Gesetzen unterzuordnen ist.
Der einzige wahre Zweck der Bildungsbewegung von Frauen ist die richtige geistige Entwicklung der Frau, damit sie ihre sittliche und rationale Mündigkeit erreichen kann, damit sie die Prüfungen des Leben nicht unvorbereitet wie hilfloses Kind, sondern wie erwachsener, seine Aufgabe kennender und erfüllender Mensch bestehen kann; und damit sie aufgrund mangelnder sittlicher Entwicklung kein verachtetes Objekt der skrupellosen Ränke des anderen Geschlechts abgibt, vielmehr dieses sittlich erheben helfen kann. Dass angesichts der geistigen Entwicklung und umfassenderer Bildung sich Frauen für fachliche Vorbereitung auf Aufgaben, die bis jetzt nur Männern vorbehalten waren, entscheiden, ja diese auch schon wahrnehmen, ändert an der Sache grundsätzlich wenig. Handelte es sich bei den männlichen Aufgaben um pure Nachahmungen, wären sie nebensächlich. Frauen werden ihren neuen, erweiterten Aufgaben keineswegs als Nachahmerinnen von Männern gerecht, sondern als vollendete Frauen mit entfalteten Seelen, die fähig sind und wissen ihren Einfluss überall dort zur Geltung zu bringen, wo Verbesserung ungesunder Verhältnisse notwendig ist. Ibsen sagte einmal: „Frauen werden Fragen der Menschheit lösen – sie müssen es als Mütter tun.“ Damit sagte er so viel, dass mehr auch der größte weibliche Ehrgeiz nicht verlangen darf; aber gleichzeitig deutete er darauf hin, dass die Kraft, mit der sie es erreichen können, in ihrem mütterlichen, weiblich tugendhaften Wirken besteht, das so zu bleiben hat, auch wenn es in den öffentlichen Bereich übertragen wird. Hier können sich auch solche Frauen, die nicht natürliche Mütter geworden sind, etwa auf dem Feld der Jugenderziehung, Wohltätigkeit und Philanthropie – und überhaupt bei jeder öffentlichen Tätigkeit – mütterlich betätigen, was in sittlicher Hinsicht gesegnete Folgen haben müsste.
Dies sind Meinungen über die Frauenfrage, die jedoch dank derer ferner Beobachtung entstanden sind und daher keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit erheben können – obwohl ein Überblick aus einer gewissen Entfernung klarer wirkt als vom Kampffeld selbst betrachtet.
Was uns Slowakinnen angeht, tun wir uns schon deshalb nur schwer, aktiv zu werden, weil uns die Grundlagen für die Taten fehlen. Die Frauenfrage entscheidet sich auf dem Bildungsfeld und dieses bleibt bei uns, verglichen mit anderen, kläglich, solange wir keine slowakischen Schulen haben. Bis dahin müssen wir uns mit unseren einfacheren Aufgaben zufriedengeben, nur müssen wir uns bemühen, sie richtig zu erfüllen. Dennoch verfolgen wir aufmerksam die Entwicklung der Frauenbewegung in der Welt und wünschen uns inständig, dass sie die richtige Richtung einschlägt. Dass uns am meisten interessiert, welche Gestalt sie bei den slawischen Völkern annimmt, ist nur natürlich.
Am häufigsten richten wir unseren Blick auf unsere engsten Schwestern, die Tschechinnen, die erstaunlich gut vorankommen und sich ein breites Programm vornehmen. Die Bewegung, die sich auf Bildung, Beruf und Recht auf erweiterte Aufgaben konzentriert, ist bei ihnen von Anfang an mit der nationalen Bewegung verbunden. Die ersten ausgezeichneten Tschechinnen, die mit heißer Begeisterung bei tschechischen Frauen die Liebe zur Nation und Heimat weckten, waren gleichzeitig die ersten Befürworterinnen der neuen, erweiterten Rechte und Pflichten von Frauen. Diese Tatsache erhöht noch den Wert und die Sympathien der tschechischen Frauenbewegung und solange sie treu dem Sinn ihrer Gründerinnen geführt wird, wird sie sicherlich in gutem Bestreben weder in einseitigen Bemühungen verkümmern noch durch pure Nachahmung von anderen kleinlich werden. Wir wünschen unseren tschechischen Schwestern aus aufrichtigen Herzen, dass ihre fleißige Tätigkeit in der tschechischen Frauenwelt nur gute Kräfte zum Leben erweckt, dass sie die Kraft des tschechischen Volkes vergrößern, das immerzu vom mächtigen Feind bedroht wird – dass die Frauenfrage als „Frage“ aufhören wird und zu einem gesunden, reifen Zustand findet, zum Aufblühen und zur Zufriedenheit des tschechischen Volkes.
Maróthy-Šoltésová, Elena: O ženskej otázke. In: Dennica, 5., 1902, Nr. 5.