Von der Königskrönung bis zum Festzuge / Fast hundert Jahre Lebenserinnerungen (1831-1925)
- Autor*in: Helene Erdödy
- Publikationsdaten: Ort: Zürich, Leizig, Wien | Verlag: Amalthea | Jahr: 1929
- Ausgabe-Datum: 1929
- Sprachen: Deutsch
- Gattung: Erzählung
Kommentar:
Die Gräfin, die ab 1867 als Hofdame von Kaiserin Elisabeth diente, vergegenwärtigte in ihren Memoiren die bedeutendsten Ereignisse ihres langen Lebens und bietet dadurch einen Einblick in die Lebensführung der österreichisch-ungarischen Aristokratie. Ihre Erinnerungen an die ungarische Königskrönung (1867) und das österreichische Kaiser Jubiläum (1879) führen durch die Erzählung der Festzüge die repräsentative Selbstdarstellung der Monarchie und der ungarischen Nation vor Augen.
Übersetzung
Gräfin Helene Erdődy: Von der Königskrönung bis zum Festzuge
Das Jahr 1867 brachte mir die schönste Erinnerung meines Lebens, die Krönung des Kaisers Franz Joseph I. zum König von Ungarn. Und doch wäre ich fast durch ein großes Unglück, das sich im erlauchten Erzhause zugetragen hatte, um die Teilnahme an dieser erhebenden Feier gebracht worden. – Die junge Erzherzogin Mathilde, eine Tochter Erzherzog Albrechts, hatte nämlich durch einen Funken ihrer Zigarette ihr leichtes Gazekleid in Brand gesetzt und sich, trotzdem ein mutiger Lakai sofort herbeieilte, mit bloßen Händen die Flammen zu ersticken, so schwere Verbrennungen zugezogen, daß sie nicht mehr zu retten war. Die Hofdame der Herzogin Adelgunde von Modena — einer Schwester der Mutter der Dahingeschiedenen — besuchte mich plötzlich und überbrachte mir die an gelegentlichste Bitte Ihrer Hoheit, der ich, nebenbei erwähnt, noch gar nicht „offiziell“ vorgestellt worden war, anläßlich der Beisetzung ihrer unglücklichen Nichte als ihre Obersthofmeisterin zu fungieren, da sie momentan ohne eine solche sei, nach den strengen Satzungen des „spanischen Hofzeremoniells“ aber nur in Begleitung einer Obersthofmeisterin den Trauerfeierlichkeiten anwohnen dürfe. Sie ließ dabei erwähnen, daß sie doch als geborene Bayerin — sie war eine Schwester des nachmaligen Prinzregenten Luitpolo — meine Landsmännin sei und daß ihre Familie mit der meinigen stets auf besonders freundschaftlichem Fuße gestanden hätte. Bereitwillig, wenn auch nicht eben mit Freuden, wäre ich diesem Wunsche nachgekommen, doch nun mußte ich wohl einwenden, daß ich von Ihrer Majestät für eben diese Zeit nach Budapest einberufen sei. Nach einigen Stunden erhielt ich aber die Mitteilung, die Beisetzung sei etwas verschoben worden, so daß Krönungsteilnehmer, welche nach Abschluß der Feierlichkeiten keine Zeit verlieren würden, noch rechtzeitig zum Begräbnisse eintreffen könnten. Nun erst fiel mir ein Stein vom Herzen!
Schon bei Tagesanbruch — einer gar frühen Stunde am 8. Juni! – war Budapest auf den Beinen. Der Marschtritt vorbeidefilierender Truppen, Kommandos, Hornsignale und schneidige Militärmusik, dann das Stimmengewirr unten vorüberströmender Volksmengen und über dem allen ein gütiger, wohlmeinender Himmel, der mit keinem Begusse all der Pracht und Herrlichkeit drohte! Das war ein Tag Gottes und der Menschen! Bereits um fünf Uhr früh erwartete ich den Friseur, der vorher schon einige Damen bedient hatte. Bald war auch das überstanden, und gerade zur rechten Zeit bestiegen Fery und ich unseren Galawagen mit den gepuderten Dienern und silberblitzenden Husaren. Wegen der ungeheuren Menschenmassen, die sich auf Gassen und Plätzen drängten, hatten wir große Mühe, uns bis zur Kettenbrücke und über dieselbe zur Ofener Burg emporzuzwängen. Oben angekommen, wurde ich sogleich in den Saal geführt, in dem sich die diensttuenden Palastdamen zu versammeln hatten. Bald erschien, strahlend von Schönheit, Pracht und Glück Königin Elisabeth. In der liebenswürdigsten Weise plauderte sie mit uns über die Feierlichkeiten und die patriotische Stimmung unter der Bevölkerung, bis ihr hoher Gemahl mit Krone und Zepter in vollem Herrscherornate eintrat. Ihre erste an ihn gerichtete Frage war, ob ihm die Krone passe und nicht zu groß sei, worauf sich der König sofort in das anstoßende Gemach begab, um hinter der halboffenen Türe alle möglichen Kopfbewegungen zu machen, wobei die herabhängenden kleinen Schnüre hin und her flogen, was sehr lustig aussah. Die Krone schien aber festzusitzen. Trotzdem glaubte er wohl hernach, als er hoch zu Rosse auf dem Krönungshügel die traditionellen Schwertstreiche führte, daß sie etwas wackle, denn er griff dort plötzlich nach ihr und drückte sie fester aufs Haupt. Hoffentlich haben abergläubische Gemüter darin nicht sofort ein böses Omen erblickt! Daß ich die Zeremonie der Krönung aus allernächster Nähe verfolgen konnte, war mir natürlich sehr lieb. Ein ganz neuer und ungeahnter Vorgang bot sich mir dar, als während der Salbung und Segnung des Monarchen durch den Fürst primas vor dem Altare, Graf Gyula Andrássy die Schultern der Königin mit der St.-Stephans-Krone berührte.
Nach der Krönung begaben sich Hof und Gefolge in die Burg zurück, woselbst sich das hohe Paar auf etwas erhöhten Thronstühlen niederließ, und die Anwesenden mit huldigender Verbeugung vorüberdefilierten. Hierauf fand ein gewiß nicht sehr sättigendes Schauessen für die Majestäten unter Leitung des Oberstküchenmeisters und bedient durch den Mundschenken, die Truchsessen sowie andere in Betracht kommende Hofchargen statt, während für uns alle, die wir an diesem Tage im Dienste waren, in einem großen Nebensaale eine reichhaltige Tafel gedeckt war. Hiermit schienen eigentlich die Festlichkeiten für uns zu Ende zu sein. Wir bestiegen unsere Kutschen und fuhren den Berg hinab an das Ufer der Donau, woselbst ein Dampfschiff bereitstand, welches die Königin und uns Palastdamen zum Parlamentsgebäude führte. Dort wurden wir in Gnaden entlassen. Als Andenken an diesen feierlichen Tag erhielt ich zwei große goldene Medaillen mit dem Bildnisse der Majestäten.
Gepriesen sei der Herr, daß er einen Schleier vor die Augen der Menschen legt, der ihnen selbst die allernächste Zukunft verhüllt! Wer von uns allen hätte damals gedacht, daß elf Tage nach diesem so prunkenden und erhebenden Feste Kaiser Maximilian von Mexiko in Quaretaro unter den Kugeln eines halbwilden, erbarmungslosen Siegers seine edle Seele verhauchen sollte!
Aber auch wir hatten einen schmerzlichen Verlust zu erleiden: am 2. Juli 1867 starb zu München meine liebe Schwägerin Franziska Leoprechting-Erdödy, in deren Hause ich mich verlobt hatte, im 46. Lebensjahre.
Seit 1868, wo meine kleine Melanie schwer an Typhus daniederlag und auch nach ihrer Genesung sich jahrelang nicht recht erholen konnte, mußte ich alljährlich mit ihr an die See nach Ostende. Oh, wie liebte ich seit jeher das Meer, bald in Ebbe zurückflutend, wie wenn es sich beleidigt vom Strande zurückzöge und seinen Bewohnern, bald wieder heranbrausend in wilder Flut! Und die herrlichen Lichteffekte! Breite, glänzende, leuchtende Streifen auf dem Wasserspiegel, flaschengrün und wie aus den Tiefen empor beleuchtet, ein Effekt, der von Insekten herrühren soll und sich in der kühleren Jahreszeit nicht mehr zeigt. – Frau von Wuttenau, geb. Württemberg, deren Mutter die Schwester meines Schwagers Georg Festetics war, sowie ein kleiner Kreis ihr befreundeter Damen bildeten meinen liebsten Umgang in Ostende.
In Somlóvár, wo meine beiden ältesten Söhne zurückgeblieben waren, hatte sich während meines letzten Séjours an der Nordsee ein schreckliches Unheil zu getragen: mein zweiter Sohn Tamás, ein ebenso kühner als guter Reiter, war vom Pferde gestürzt, hatte sich eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen und konnte sich zeitlebens nicht mehr von den Folgen dieses Unfalles erholen.
Leider muß ich an dieser Stelle auch eines zweiten, noch schwereren Unglücksfalles Erwähnung tun, der sich kurz darauf bei uns in Galgócz ereignen sollte. Im Spätherbste fanden dort, wie alljährlich, die Hasen- und Fasanenjagden statt, die damals zu den besten und ergiebigsten von Ungarn zählten und außer den befreundeten Gutsnachbarn auch liebe Bekannte aus Wien oder dem Auslande zu Gästen hatten. Die ersten Tage über wurde stets in den dem Schlosse näher liegenden Revieren gejagt, und da die Jugend unter den Gästen meist reichlich vertreten war, so verliefen das späte Diner und der daranschließende Abend gewöhnlich in heiterster Stimmung. Die letzten Tage aber brachten sämtliche Schützen im nahen Pistyan zu. Wir Damen blieben jedoch, da das dortige Kastell nicht gar geräumig ist, in Galgócz zurück. Auch damals waren die Pistyaner Jagdtage froh und glücklich vorübergegangen. Man wollte um 1 Uhr wieder zum Gabelfrühstück bei uns eintreffen. Die Zeit bis zur Abfahrt sollte noch eine kleine Jagd ausfüllen. Auch unser treuer, alter Freund, Graf Hugo Königsegg, war mit von der Partie. Eben flog ihm ein ganzes Bukett Fasanen entgegen. Hastig reichte er über die Schulter das ausgeschossene Gewehr dem Büchsenspanner, der ihm ebenso rasch ein frischgeladenes übergeben wollte, als dieses sich plötzlich entlud und der arme Königsegg: aus nächster Nähe von der vollen Schrotladung über der Kniekehle getroffen, zusammenstürzte. Groß war das allgemeine Entsetzen! Der Verunglückte wurde so gleich ins Schlößchen getragen und der herbeigerufene Arzt konstatierte, daß keine Nötigkeit einer Amputation vorliege und auch keine unmittelbare Gefahr bestünde. Diese Nachricht beruhigte uns alle für den Moment. Fery war beim Kranken zurückgeblieben, und auch Graf Hugos Nichte, Elsa Széchényi-Andrássy, begab sich zum Schwerverwundeten, dessen Pflege zu übernehmen. Zu unser aller größtem Leidwesen trat aber schon in kurzer Zeit eine Wendung zum Schlechteren im Zustande Königseggs ein. Er bekam Anfälle von Starrkrampf, denen er am 22. Dezember erlag. Der Verlust dieses treuen, alten Freundes ging uns sehr nahe. Nach seinem Tode verbreitete sich das Gerücht, er sei lebendig eingesargt worden. Einige wußten zu erzählen, daß es während der Fahrt stark und vernehmlich im Sarge geklopft habe, worauf die Begleiter, abergläubische Slowaken, Reißaus genommen und nicht früher zurückgekehrt seien, bis das Klopfen verstummt war. Andere berichteten wieder, man hätte die Leiche, nach einem längeren Transporte auf fast unpassierbaren Spätherbstwegen, mit dem Gesichte nach unten im Sarge liegend gefunden.
1870 brachte den Deutsch-Französischen Krieg, der uns aber nicht stark tangierte. Wir gehörten natürlich alle der deutschfreundlichen Partei und das mit ganzem Herzen an. Auch hier war, wie 1866, weit größere Güte und Humanität auf beiden Seiten gegen den gefangenen Feind zu bemerken, als im Weltkriege. In München zum Beispiel befand sich ein junger französischer Offizier, der dort Verwandte hatte, auf Ehrenwort freigelassen. Er soll in Isar-Athen herumspaziert sein und sogar an kleinen Familiendiners teilgenommen haben. Und doch sind weder Deutschland noch Frankreich daran zugrunde gegangen!
Der 17. Februar 1872 versetzte uns alle in tiefste Trauer, denn die liebe, gute Großmama Katharina Bechtolsheim war im hohen Alter von 85 Jahren zur ewigen Ruhe eingegangen. Nur langsam konnten wir uns über den schweren, unersetzlichen Verlust trösten. Das Leben dieser Frau, die noch die französische Revolution, Emigration, die Napoleonischen Kriege und deutsches Hofleben der Empire- und Biedermeierzeit mitgemacht hatte, war hochinteressant, und schon als Kinder lauschten wir so gern der Erzählung ihrer Erlebnisse.
Das darauffolgende Jahr brachte die Wiener Weltausstellung. Ihrer feierlichen Eröffnung durch Seine Majestät wohnten wir wohl alle bei, doch kann ich mich nicht mehr recht daran erinnern. Wir zählten dann natürlich, wie alle Einheimischen, zu den fleißigen Besuchern dieser großartigen Veranstaltung. —
Wilhelm I., eine schöne, hochragende Greisengestalt, Fürst Bismarck und andere interessante Persönlichkeiten zogen an uns vorüber.
Deutlich steht mir noch aus jenen Tagen das Bild einer Hoftafel vor Augen, der auch Fery und ich zugezogen waren. Kaiser Franz Joseph fetierte damals den Fürsten Nikolaus I. von Montenegro und dessen Gemahlin Milena, die zur Besichtigung der Ausstellung nach Wien gekommen waren. Der Fürst, etwa 30 Jahre alt, und seine Gattin, in der Mitte der Zwanziger stehend, waren wohl in ihrem bunten Nationalkostüm recht hübsche Leute, schienen aber gar nicht in das hochelegante Milieu zu passen. Besonders Milena, anscheinend keiner der Weltsprachen kundig und in ihrem farbenfreudigen Staate etwas an eine kroatische Bäuerin im Sonntagsgewande gemahnend, schien sich in dieser vornehmen Sphäre nicht recht wohl zu fühlen. – Hier fällt mir übrigens eine heitere Begebenheit ein, die sich aber erst 30 Jahre später anläßlich einer Nikita-Visite in Wien abspielen sollte. Unser, die letzten Lebensjahre ganz in Schönbrunn verlebender Monarch hatte den in der Burg einquartierten König von Montenegro für eine bestimmte Vormittagsstunde eingeladen, um von der Schloßterrasse aus dem Vorbeidefilieren militärischer Rad- und Motorfahrerbataillone anzuwohnen. Der Balkanmonarch, der sich keineswegs durch jene typische Pünktlichkeit auszeichnete, die unserem Kaiser eigen gewesen, traf mit kräftiger Verspätung bei seinem Gastgeber ein, der darüber äußerst ungehalten war. Eben hatte es sehr heftig zu regnen begonnen, da trat unser Kaiser in einem langen Gummimantel mit dem Montenegriner, der keine solch wasserdichte Hülle über seiner Uniform trug, auf die Terrasse und weilte dem Defilé, das über drei viertel Stunden währte, in strömendem Gusse bei. Dem hohen Gaste rann schon das Wasser beim Kragen hinein und bei den Ärmeln heraus, „und“, so meinte mein boshafter Berichterstatter, „Nikitusch wird dann wohl auf den Herd gesetzt worden sein, um zu trocknen!“
Im darauffolgenden Jahre hatten meine größeren Buben ihre Mittelschulstudien beendet, und ich beschloß, mit ihnen sowie mit Clotilde und Melanie eine Reise unter den blauen Himmel Italiens zu unternehmen. Unterwegs besuchten wir Triest und fuhren nach der Besichtigung Miramars per Dampfschiff nach Venedig. Was könnte man noch über die ehrwürdige Dogenstadt berichten, über die schon so viel gesagt und gesungen wurde? Tiefen Eindruck machte uns das Leichenbegängnis eines jungen Mädchens: lichtblau dekorierte Gondel, lichtblaue, reich in Silber gestickte Sargdecke, die Gondoliere in altertümlicher schwarzer Tracht, der Rand der Gondel ein großer Blumenkranz, dessen Gewinde noch etwa zwei Meter lang im Wasser nachschwammen!
Unser Reiseziel war Rom. Unterwegs hielten wir uns noch in Padua auf, wo das Grab des hl. Antonius und einige andere Sehenswürdigkeiten besucht wurden, dann in Bologna, woselbst die Jeunesse dorée gerade ein großes Orangenwettessen bei Musikbegleitung veranstaltete und in den Zwischenpausen einen echt italienischen Lärm vollführte. In Florenz, der reizenden Arno-Stadt, wo man in den zahlreichen Verkaufsläden auf der altehrwürdigen Brücke Halb- und Ganzedelgestein nicht allzu teuer erhandeln kann, besuchte Fery mit mir in der Kirche St. Maria Novella das Grab seines Bruders Tomy, von dessen Heldentod ich bereits berichtete.
Dann kam Rom! Und wenn ich an diesen meinen ersten Aufenthalt in Rom zurückdenke, so vermischen sich mir die damaligen Erinnerungen und Eindrücke mit später Gesehenem und Erlebtem dergestalt, daß ich lieber gar nichts davon erwähnen möchte. Ich weiß nur, daß wir dort mir noch unbekannte Verwandte Ferys besuchten, die uns mit Liebenswürdigkeiten überhäuften. Ganz genau kann ich mich nur dreier sehr markanter Ereignisse entsinnen: einer Audienz bei Pionono, der Heiligsprechung einer Landsmännin, der seligen Kreszenzia von Kauffbeuern, und schließlich des Karnevals in Rom!
Unser Botschafter riet uns, um eine private Audienz beim Hl. Vater anzusuchen, doch Fery wollte das nicht, und so gingen wir denn zum allgemeinen Empfange. Die breite Treppe war von Schweizergarden in ihrer althistorischen, malerischen Tracht flankiert: gelbe Pluderhosen mit schwarzen Streifen, rote Strümpfe, Ärmel und Halsaufschläge, schwarzgelbe Kappen oder Helme mit Federn, in der Rechten eine Lanze. Oben nahmen uns sofort Lakaien in roten Livreen und mit gepuderten Haaren in Empfang und geleiteten uns in den Audienzsaal, einen länglichen, nicht sehr breiten Raum mit einem Mosaikfußboden, einer reichvergoldeten, en reliefgearbeiteten Decke und mit Blumengirlanden und Tierfresken geschmückten Wänden. Es waren schon zahlreiche Audienzwerber vorhanden und immer neue betraten den Raum. Mit einem Male wurde der rote Purpurvorhang im Hintergrunde weit aufgerissen. „Sa saintité le souverain Pontif!“ Eine Mengo roter Kardinäle und Priester in dunklen Gewändern strömen in den Saal, sich sofort niederkniend. Auch die päpstlichen Offiziere beugen das Knie – und herein tritt langsam der greise Vater der Christenheit, der ehr würdige Märtyrer seines hohen Berufes – Pius IX.! Ein mildes Lächeln verklärt seine Züge: „Ah, mes enfants!“ Drei russische Damen rutschen auf den Knien zu ihm, ihre kostbaren Spenden darreichend: ein Meßbuch in Malachit gebunden, ein Kruzifix von Elfenbein… Nun tritt er zu uns. Ein Rotbefrackter präsentiert: „Le comte d’Erdödy d’Hongrie, chambellan de S. M. l’empereur d’Autriche avec sa famille!“ Der Papst bleibt stehen, richtet einige gnädige Worte an Fery und mich, dann klopft er dem knienden Imre freundlich auf die Wange und stützt sich auf seine Schulter: „Soutenez moi et tenez moi bien ferme, jeune homme! Mes pieds ne valent plus rien!“ Und wieder setzt er sich in Bewegung und schreitet langsam und mühselig dem Ende des Saales zu. Plötzlich huscht ein schalkhaftes Lächeln über seine Züge. Er hat mitten unter all den schlichten, dunklen Frauengestalten mit dem vom spanischen Schleier verhüllten Haupte plötzlich ein auffallendes junges Fräulein, recht unkommentmäßig mit starkgepudertem Gesichte, einer unverhüllten, turmhohen Frisur und einer gewaltigen knallroten Masche darin wahrgenommen. Er bleibt vor ihr stehen, berührt seinen Kopf und spricht heiter: „C’est bien cela, couleur brillante! Mais tant de la farine!“ Er macht die Bewegung des Mehlaufstreuens. Die begleitenden Kardinäle, Priester und Offiziere lachen. Der frommen Pilger bemächtigt sich große Heiterkeit. Die Schöne aber wird röter als ihre rote Masche vor Scham und verbirgt das bemehlte Antlitz in einem Tüchlein! Der Papst geht mühselig seines Weges weiter. Erst bei dem goldenen Thronsessel, der vor dem Purpurvorhange prangt, verweilt Seine Heiligkeit. Er spricht nur wenige schlichte, zu Herzen gehende Worte, die seine Hoffnung ausdrücken, alle hier Versammelten dereinst in der ewigen Seligkeit wiederzufinden. „Et mainte nant“, er erhebt die Rechte zum Segen, „ecevez ma benediction pontificale! Erschüttert beugen alle die Knienden das Haupt. … Wieder rauscht der rote Vorhang zurück. … Die Audienz ist beendet!
Bei der Heiligsprechung meiner Landsmännin war die ungeheure Peterskirche in geradezu feenhafter Weise beleuchtet… Nachdem wir uns noch an dem bunten Maskentreiben Roms ergötzt hatten, kehrten wir über Pisa, Genua, Turin, Mailand, Verona, Udine und Klagenfurt nach Wien zurück.
1879 war das Jahr der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares…. Samstag, den 26. April! Die Stadt Wien in festlichem Feierkleide! Von allen Dächern wehen bunte Fahnen, von den Fenstern und Balkonen Blumengirlanden, Tücher, Teppiche. Von Morgen bis Abend wimmeln Menschen durch die Straßen, alle in Erwartung des großen Ereignisses, das bevorsteht, des — Festzuges! Dieser, von Makart arrangiert, fand am nächsten Tage statt. Zum Unterschiede von seinem 1908er Nachfolger waren die Kostüme und Ausstattungen im Schnitte eines einzigen Jahrhunderts, nämlich des XVI., gehalten, soweit nicht ausschließlich die Phantasie des berühmten Malers bei Gruppen etwas fraglicher historischer Herkunft, wie jener der Eisenbahn, der Industrie usw., frei walten mußte. Ich selbst war auf der Palastdamentribüne placiert, meine Kinder aber bei der Marquise Chasteler im ersten Stock des Grand Hôtel untergebracht, wo sie noch die Pallavicini vom Josefsplatz, Van der Straaten, Vrints, St. Marçons und den Holländer Graf Spangen vorfanden und bei Sandwiches und Bonbons die schönste Aussicht auf das Fest treiben genossen. Die Aufstellung und Rangierung der Gruppen fand schon zwischen 6 und 8 Uhr früh längs der ganzen Ausstellungsstraße und deren zwei Parallelgassen rechts und unterhalb des Lagerhauses statt. Alle Gewerbe waren mit ihren Wahrzeichen und Zunft- und Innungsemblemen ausgerückt. Die meisten derselben hatten große, prachtvolle Gruppenkarossen von sechs Pferden gezogen, mit allegorischen Darstellungen ausgerüstet. Da sah man die Wagenbauer, Zimmermeister, Tischler, Schlosser, Glaser u. a. m. Besonders prächtig war die Tischlergruppe geraten, die ein wirkliches, getreues, fast rührend wirkendes Bild mittelalterlichen Zunft- und Städtelebens gewährte. Aber auch die Lackierer, Binder und Optiker blieben hinter diesen nicht zurück! Letztere führten ein Mikroskop aus dem Jahre 1690 mit. Dann folgten die Kürschner, Uhr-, Kleider- und Schuhmacher, alle so ungemein charakteristisch kostümiert, daß das Publikum keinen Moment im Zweifel über die Art ihres Gewerbes sein konnte. Herrlich waren auch der Wagen der Goldschmiede, dann jener der Textilindustrie mit einer ganzen Ausstellung ihrer schönsten und kostbarsten Erzeugnisse und schließlich die Karosse der Glockengießer mit einer riesigen Glocke, welche die Aufschrift trug:
„Das Erz, das wir geformt mit Fleiß,
erklinge Euch zu Ruhm und Preis!“
Dieser Wagen wurde von neun Meistern, drei Bannerträgern, zwölf Gehilfen und zwei Lehrlingen begleitet. Dann kam der Jagdzug, das hervorragendste Ereignis der ganzen Veranstaltung! Voran zwei Herolde zu Pferd, 15 berittene Bürgersöhne, je ein Bannerträger mit der österreichischen und der bayrischen Standarte und eine Militärkapelle. Die erste Gruppe waren Jagdreiter aus dem 16. Jahrhundert, darunter die Grafen Breunner, Wilczek und Hoyos. Dann zog die Gebirgsjagd mit Älplern und Armbrustschützen vorüber. Die fünf Jagdherren waren von der Wiener Hofgesellschaft. Schöne Hunde wurden mitgeführt, als Strecke aber figurierten Hirsche, Gemsen und Auerwild. Hierauf folgte auf prunkvollem Wagen, umgeben von seinen Trabanten, der Jagdkönig, woran sich noch eine Bären-, eine Sauhatz und eine Reiherbeize schlossen, an welch letzterer auch mehrere Damen unserer Bekanntschaft teilnahmen und die ein getreues Genrebild aus der Zeit nach dem Westfälischen Frieden bot. Auch Gartenbau, Winzerei, Handel, Industrie, Bergbau und Eisenbahnwesen schienen aufs glänzendste vertreten. Makart, der geniale Schöpfer all dieser Pracht und Herrlichkeit, wurde, als er sich im Zuge zeigte, mit lautem Jubel begrüßt. …
Heute, da ich diese Zeilen niederschreibe und dabei auch des glanzvollen Festzuges von 1908 gedenke, bei dem mein Schwiegersohn Khevenhüller mit seinen „Khevenhüllerschen Reitern“ das schönste Bild kreïrte, faßt mich tiefe Wehmut. Zwei liebe Kinder, die voll jugendlich freudiger Spannung 1879 diesem herrlichen Schauspiele folgten, ruhten damals schon im Grabe, zwei folgten ihnen noch Dezennien später nach, nun weilen nur mehr zwei von ihnen am Leben!
Mitte Juni desselben Jahres erkrankte mein Vater an Typhus und am 23. Juni schloß er seine Augen für immer. Bis zum Ausbruche dieser heimtückischen Seuche war er, der Fünfundsiebzigjährige, rüstig und lebhaft wie ein junger Mann gewesen. Seine teuren Überreste wurden in der Regendorfer Schloßkapelle beigesetzt. Langer Zeit bedurften wir, bis wir uns an den Gedanken gewöhnen konnten, sein gütiges, heiteres Wesen auf immer vermissen zu müssen. Mir war das Telegramm mit der erschütternden Trauerbotschaft früher zugekommen als der die Erkrankung meldende Brief!
Quelle: Gräfin Helene Erdődy: Fast hundert Jahre Lebenserinnerungen (1831-1925). Zürich, Leipzig, Wien: Amalthea-Verlag 1929, 152-166.