Vorwort zu einem Buch
- Autor*in: Gyula Krúdy
- Übersetzt von: Nikolett Zoltán
- Publikationsdaten: Ort: Budapest | Jahr: 1918
- Ausgabe-Datum: 1918
- Entstehungsjahr: 1918
- Sprachen: Deutsch
- Originalsprachen: Ungarisch
- Verfügbarkeit: Ungarische Nationalbibliothek
- Gattung: Erzählung
Übersetzung
Gyula Krúdy: Vorwort zu einem Buch
Gesagt wird, Bruder, dass du pornografisch schreibst. Ein sehr starkes Adjektiv. Es klingt fast wie Pseudojournalist. Ein Schriftsteller, der sein Handwerk verrät. Untreue und Verrat. Und doch kann ich dir nicht böse sein, du Armer, denn du bist auch eine Ausgeburt des Krieges, wie alles, was wir um uns herum sehen. Du tust mir nur leid, ich drehe den Kopf weg, als fände ich einen alten Freund heruntergekommen, zerlumpt und ruiniert auf der Straße. Das Leben ist voller Mystik. 1905 haben wir geglaubt, dass wir während des Krieges alle heilig würden. Die Bösen besännen sich auf sich selbst und die Welt verwandelte sich in eine große reuevolle Pilgerfahrt. Kirchen, Priester und Glauben waren Mode. Das Erwachen war bitter. 1918, am Höhepunkt moralischer Verderbnis und Verkommenheit, verwundere ich mich nicht mehr über dich, schaumweiße, jungfräuliche Literatur, die Du als junge Dame aus gutem Hause in einer Lasterhöhle verkommen bist. Wäre doch die Literatur in ihrer urzeitlichen Unschuld erhalten geblieben, in diesen nie wiederkehrenden Tagen, als die Gendarmen die letzte edle Seele aus der Straßenbahn stießen, weil sie die neue Ordnung nicht kannte! Als allem ein Ende gesetzt worden war, was bislang etwas wert war und als kostbares Gut im Leben galt: Ehre, weibliche Tugend und familiäre Unschuld — da spuckte das Monster in die Münder der Reinsten, umarmte die unberührten jungfräulichen Seelen, ließ die diamantharte Ehre zaudern, die Verzweiflung gebar eine mild-schreckliche Apathie aus ihrer entsetzlichen Gebärmutter. Wie hätte sich in diesen Jahren die Literatur unschuldig erhalten können, die von leidenden, zappelnden und unglücklichen Menschen hervorgebracht und von Händlern für den eigenen Unterhalt zu Geld gemacht wird? Nach dem Schlampentheater ließ sich auch die einsame, nonnenträumerische Literatur taumelnd in die modischen Tugenden unserer Zeit verstricken. Eine Stoßkraft kam in diesen schrecklichen Jahren auf, und kein Mensch konnte mehr am Rand des Abgrunds ausharren. Der Lebensunterhalt wurde zu einem so schrecklichen Kampf, dass die Kinder bereits in Sünde gezeugt wurden. Menschen, die versuchen, im alten System zu denken, sehen sich in der neuen Welt wie umherirrende Wahnsinnige um. Und die verzweifelten Bittgesuche werden auch immer seltener: Mein Herr, gib mir Kraft, um diese Marter zu ertragen. Aus dem brennenden Haus springt jeder in den Sündenpfuhl.
Nunmehr verkommt unumstößlich in der Stadt auch die letzte Jungfrau, die Literatur hieß, und wir sahen sie damals so leidenschaftlich an, wie unsere Braut. Sie schmiert Rouge in ihr Gesicht, hebt kreischend ihren Rock und schaut nur deshalb ins Mondlicht, um ihre Unzucht zu verschleiern.
Bücher kommen, Bücher gehen, die bloß das predigen, worüber sich die Männer zuvor auch untereinander nur beschämt unterhielten. Das weibliche Ideal liegt ausgestreckt, seziert in der Leichenhalle. Die phänomenale Fatamorgana des Lebens verblasste in den gedruckten Zeilen. Sünde, Leiden, Entsetzen wird jedes Wort, das wir in neuen Büchern und Zeitungen lesen. Entrückt halten wir in der neuen Welt inne, und wundern uns darüber, dass die Leute noch Lust am Leben haben.
Die Bücher als Horoskope für kommende Zeiten verkünden eine uns nachfolgende Generation, in der unschuldige Jungfrauen auf dem Markt an den Pranger gestellt werden.
Aus dem Deutschen von Nikolett Zoltán
Quelle
Krúdy Gyula: Előszó egy könyvhöz, in: Magyar tükör. Publicisztikai írások. Hg. Barta András. Budapest, Szépirodalmi Kiadó: 1984.