Emanzipation & RevolutionGeschlecht & Sexualität

Aus der Mährchenwelt. Die Bibliothek der Großmutter

  • Autor*in: Stephanie Wohl
  • Publikationsdaten: Ort: Wien | Jahr: 1865
  • Erschienen in: Die Debatte
  • Ausgabe-Datum: 1865
  • Originalsprachen: Deutsch
  • Verfügbarkeit: Österreichische Nationalbibliothek
  • Gattung: Erzählung

Kommentar:

Mit lobenden Worten wird eine Lektüre der ungarischen Schriftstellerin, Stephanie Wohl, eingeleitet, deren romantisierende zauberhafte Erzählungen als Beispiele poetisch wertvoller Literatur im Gegensatz zum damaligen Zeitgeist des Realismus angeführt werden. Dieser Kontrast spiegelt sich auch in dem kurzen, die romantische Tradition heraufbeschwörenden Märchen der Autorin – als Widerspruch des grimmigen Pragmatismus der Großmutter und der lebhaften Fantasie des kleinen Mädchens – wider, das im Anschluss an die einleitende wertschätzende Rezension veröffentlicht wurde. 

Stephanie Wohl (1846–1889) war eine ungarische bürgerliche Schriftstellerin, Herausgeberin, Presseunternehmerin jüdischer Herkunft. Sie verfasste vor allem Prosawerke (Erzählungen und Romane) im sentimentalischen und romantisierenden Stil, die sie selbst ins Deutsche und Französische umsetzte. Sie und ihre Schwester (Janka/Johanna) waren im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bedeutende literatur- und kulturschaffende Persönlichkeiten in Budapest. Sie zeichneten sich in den 1870er Jahren als wichtige Akteure des Budapester Salonlebens aus, ihre Veranstaltungen baten dem französischen Vorbild folgend Raum für den intellektuellen Austausch und dem Plaudern für Männer und Frauen. Die Wohl-Schwestern gaben mehrere ungarische Frauen- und Modezeitschriften heraus, unter anderem Magyar Bazár mint a Nők Munkaköre (1966-1904) [Der ungarische Bazar als weiblicher Arbeitskreis] – eine Tochterzeitschrift Des Bazars. Illustrirten Damen-Zeitung (Berlin, 1854-1937) –, die über Berichte und Illustrationen zur Frauenmode und kultivierten Lebens- und Verhaltensweise sowie Erwerbsmöglichkeiten auf den weiblichen Habitus, Geschmack und generell auf Geschlechterbilder einen starken Einfluss nahmen. Das souveräne Kulturschaffen der Schwestern war in den bürgerlichen und intellektuellen Kreisen in Budapest zweifelsfrei öffentlichkeitswirksam, indem sie für die Diskussion von Geschlechterfragen (die Rolle, Bildung und Berufung einer Frau) gesellschaftliche Foren und Organe schufen. Dennoch betrachteten sich die Wohl-Schwestern keineswegs als feministische Aktivistinnen, sie forderten nicht einmal eine Gleichstellung der Geschlechter. Sie bemühten sich statt ideologischer Proteste um die pragmatische Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit und sozialen Selbstständigkeit der Frauen in der Überzeugung, dass die Frauenemanzipation als historischer Prozess von sich selbst vollzogen werden muss.